09.03.2020

Interpellation von Beat Leuthardt, Grossrat, vom 9.3.2020

Coronavirus: Ältere Mieter/innen in Massenfällen benötigen dringend sozialen Gesundheitsschutz

Die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus stellen den Gesundheitsschutz bei den rüstigen älteren Mieterinnen und Mietern in allen Quartieren sowie bei den vulnerablen Jungen und jungen Familien infrage.

Wie schützen wir die rüstigen Älteren, die von einer sogenannt umfassenden Sanierung betroffen sind, bei der ständig Handwerksleute ein und aus gehen? Die von Bund und Kanton festgelegten Massnahmen sind da nicht einzuhalten bzw. schlagen fehl.

Und wie schützen wir die, die einer (Massen-) Kündigung unterworfen werden? In deren Folge müssen sie nach einer Rechtsauffassung sofort und anhaltend auswärtige Wohnungen suchen und diese dann zusammen mit Mitbewerbenden besichtigen gehen.

Auch in der Folge bringen die Massnahmen diese Mieter/innen in grosse zusätzliche Gefahr. Vom ersten Tag an lassen sich die Mietparteien bei (Massen-) Sanierungen und bei (Massen-) Kündigungen in Gruppen mietrechtlich und wohnschutzmässig beraten. Die Orte (Waschküche, nahegelegenes Café oder Dritträume) sind eng. Wie soll im Lichte der Corona-Massnahmen der Gesundheitsschutz gewährleistet sein?

Und auch bei nachfolgenden Schlichtungs- oder Gerichtsverhandlungen werden die Rechte der älteren bzw. der vulnerablen Mietparteien massiv verkürzt, weil Kollektiveinsprachen bei den derzeitigen Massnahmen nicht sinnvoll verhandelt werden können (Anfahrtswege, Enge des Verhandlungsorts, Gruppenbildung im Saal, Distanz zwischen den Personen).

Betroffen sind mehrere hundert Miethaushalte, deren mietrechtliche Gruppen- und Einzelklagen in Vorbereitung oder bereits hängig sind. Rechnet man pro Miethaushalt mit durchschnittlich 1,5 Personen, so betrifft die Gefährdung über 1'000 Personen, verteilt über sämtliche Quartiere.

Allein zum Schorenweg sind noch 82 von 94 Dossiers hängig. Es steht jetzt eine Kollektivverhandlung mit 48 involvierten Mietparteien vor Mietschlichtungsstelle an, darunter eine rüstige 100-jährige Witwe sowie eine oder mehrere 92-, 85-, 82-, 78-Jährige und etliche Personen zwischen 65 und 75.

Auch in naher Zukunft ist ohne notstandsähnliche Massnahmen von mehreren (Massen-) Kündigungen monatlich auszugehen. Auch künftig gefährden also (Massen-) Aufschläge und (Massen-) Kündigungen den Gesundheitsschutz und die Rechte der rüstigen älteren Mieter/innen.

 

Ich frage daher die Regierung:

1.   Sieht sie den Gesundheitsschutz durch (Massen-) Sanierungen und (Massen-) Kündigungen aufgrund der Anti-Coronavirus-Massnahmen ebenfalls als schwer gefährdet:

      a) bei langjährigen rüstigen älteren Mietparteien?

      b) bei vulnerablen Jüngeren und jungen Familien?

2.   Ergreift sie alles Mögliche an kantonalen Massnahmen, die gestützt auf kantonales öffentliches Recht und in Ergänzung zum Bundeszivilrecht die Folgen von (Massen-) Sanierungen sowie von (Massen-) Kündigungen mindern und lindern können?

3.   Ergreift sie gestützt auf kantonales öffentliches Recht rasche Massnahmen, damit

      a) sogenannt umfassende Sanierungen nicht den Gesundheitsschutz unterlaufen?

      b) die Suchbemühungen für Ersatzwohnungen von Massengekündigten ausgesetzt werden?

4.   Stellt sie unentgeltlich Räumlichkeiten für Mietversammlungen zur Verfügung, die

      a) genügend weit auseinander bestuhlt werden können?

      b) kollektive mietrechtliche und wohnpolitische Fachberatung erlauben?

      c) in unmittelbarer Nähe der jeweils betroffenen Mieter/innen-Gruppen liegen?

5.   Veranlasst sie gestützt auf kantonales öffentliches Recht, dass bei sanierungsbedingten (Massen-) Aufschlägen und (Massen-) Kündigungen die Verfahren vor Mietschlichtungsstelle und ggf. an den Gerichten vorläufig ausgesetzt werden, bis die Empfehlungen des Bundes und des Kantons aufgehoben werden können?

6.   Kann die Regierung zur Wahrung der Volksgesundheit speziell von Älteren und gestützt auf kantonales öffentliches Recht verbindlich verfügen, dass die Vermietenden für die Dauer der Bundes- und Kantons-Massnahmen  auf die informelle oder formelle Ankündigung von (Massen-) Aufschlägen und (Massen-) Kündigungen verzichten?

7.   Kann sie die Mietschlichtungsstelle anweisen, in ihre amtlichen Mietzinserhöhungs- bzw. Kündigungsformulare eine obligatorische Sistierungsklausel einzufügen?

8.   Wird die Regierung im Fall, dass Bund und Kanton mildere Restriktionen einführen würden, die Vermietenden zum Verzicht auf (Massen-) Aufschläge und (Massen-) Kündigungen aufrufen?

9.   Genügen die bestehenden rechtlichen Grundlagen wie das eidg. Epidemiengesetz sowie die Kantonsverfassung, das Gesundheitsgesetz und das übrige kantonale Recht vorbehaltlos bzw. in einem weiten Sinn ausgelegt, um die notstandsähnlichen Massnahmen – analog dem kantonal restriktiven Fasnachtsverbot – auch im Bereich des Mietwohnschutzes durchzusetzen?

10. Ist die Regierung im Fall, dass sie die bestehenden rechtlichen Grundlagen – anders als beim restriktiven Fasnachtsverbot – als ungenügend erachtet, bereit, in Anwendung von § 109 Kantonsverfassung notstandsähnliche Massnahmen in obigem Sinn einzuführen und diese dem Grossen Rat zur Genehmigung vorzulegen?

11.Wie begründet sie im Fall, dass sie obige Gesundheitschutz-Massnahmen rundweg ablehnt, im Detail, wieso die regierungsrätlichen Eingriffe in die Eigentums- und die Wirtschaftsfreiheit anlässlich der Fasnachtsverfügungen verhältnismässig gewesen sein sollen, während vorliegend der Schutz der individuellen Gesundheit nicht verhältnismässig sein sollte?

 

Beat Leuthardt