10.01.2017
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Zerstört Airbnb Mietwohnungen in den Städten?

Online-Vermietungsplattformen mischen auch in der Schweiz den Wohnungsmarkt auf. Sind sie eine Gefahr für die Mietenden?

Auf diese Frage gibt es keine abschliessende Antwort. Aber es gibt viele offene Fragen. Und einige klare Hinweise. So zum Beispiel, dass sich der grösste Internet-Zimmervermittler der Welt, der kalifornische Konzern Airnbnb, auch in der Schweiz rasant ausbreitet. Derzeit sind rund 17'000 Zimmer, Wohnungen sowie ganze Ferienhäuser im Angebot. Und zwar keineswegs nur in den grösseren Städten wie Zürich, Bern, Lausanne, Genf oder Basel. Sondern auch in Stäfa, Engelberg oder Rorschach. Ab 59 Franken ist alles zu haben: möbliert, mit Küche und Geschirrspüler, Balkon und See- und Bergsicht. 

«Airbnb ist das Vorzeigebeispiel der Sharing Economy», sagt Forscher Dominik Georgi vom Institut für Kommunikation und Marketing an der Hochschule Luzern. Die Grundideee sei, dass bislang ungenutzte Ressourcen doch genutzt würden. Inbezg aufs Wohnen heisst dies, dass unbelegte Zimmer oder auch ganze Unterkünfte temporär übers Internet vermietet werden. Diese neue Web-Industrie propagiert eine Philosophie des Teilens und des Gastgebertums. Aber es geht nicht um Barmherzigkeit, sondern um ein knalhartes Geschäft. Airbnb ist heute ein multinational operierender Milliardenkonzern. Seit 2008 wurde er von Risikokapitalgebern mit viel Geld hochgepush. Sein Börsenwert wird auf 30 Milliarden Dollar geschätzt. 2016 soll er erstmals schwarze Zahlen schreiben. Und dann viel Geld für die Investoren abwerfen.

Dank Airbnb mehr als das Doppelte aus den Wohnungen rausholen

Aber wer vermietet eigentlich auf der Airbnb-Plattform? Und wer sind die Gäste? Dazu hat Dominik Georgi aufschlussreiche Analysen für die Schweiz erstellt. 83 Prozent der Nutzer sind Touristen aus dem Ausland. Sie übernachten im Schnitt 4,5 Tage in einer Unterkunft. Sie sind jung (im Schnitt 35 Jahre) und kommen meist zu zweit. Wer meint, dass nur Einzelpersonen vermieten, die sich ein Zubrot verdienen wollen, liegt falsch. Mittlerweile sind professionelle Vermieter eingestiegen. Die Person, die hierzulande am meisten Airbnb-Zimmer anbietet, hat über 100 Feriendomizile mit über 500 Betten im Angebot. Sie heisst Jasmina Salihovic (33), kommt aus Lausanne und betreibt eine Wohnungsvermittlungsfirma. Der «Tages-Anzeiger» hat sie schon als «Managerin des grössten Hotels der Schweiz» betitelt. Hinter anderen Anbietern stehen Wohnngsvermittler wie die Zürcher City Stay. Der TA hat ausgerechnet, dass diese Firma über Airbnb aus einem möblierten Zimmer am Rand von Zürich bei einer Auslastung von 80 Prozent pro Monat 5500 Franken herausholt. Würde sie das Zimmer normal vermieten, läge höchstens eine Monatsmiete von 2000 Franken drin. Ein super Geschäft!

Da genau liegt das Problem von Plattformen wie Aribnb, Wimdu, 9flats und wie sie alle heissen: «Wohnungen werden an Touristen statt an Mieter vergeben, die Wohnungsknappheit wird verstärkt, Mieten werden erhöht, und Quartiere sind nur noch zu Teilen von festen Bewohnern bewohnt», zählt Experte Georgi die negativen Effekte auf. In Touristenmetropolen wie Berlin, New York, Paris, Barcelona oder auch Zürich rufen die lästigen Begleiterscheinungen von Airbnb Proteste hervor: Nachbarn beklagen sich über Rollkoffer-Lärm, Suff-Partys und das dauernde Ein und Aus. Wohnhäuser verwandeln sich in lärmige Touristenbetriebe. Der Ärger ist gross. In Berlin prangen Transparente an Wohnhäusern: «Dear Berlin guests: Do not use Airbnb!»

Die Ökonomie zeigt, dass digitale Plattformen starke Anreize zur Zweckentfremdung von Wohnraum ausstrahlen: Man kann mehr Geld verdienen als mit der üblichen Vermietung. Also steigen Immobilienfirmen um und schrauben nach dem Motto «Mieter raus, Touris rein» die Renditen ihrer Wohnliegenschaften hoch. Und zwar ausgerechnet in Gebieten, wo zahlbare Wohnungen Mangelware sind. Etwa in Downtown Zurich, in der Berner Altstadt, in der Weltstadt Genf oder in den Tourristenorten im Wallis und in Graubünden, wo es ohnehin zu viele Zweit- und zu wenig Erstwohnungen für die einheimische Bevölkerung gibt. Auch Mietende sind plötzlich verlockt, aus einem leeren Zimmer Kapital zu schlagen und kurzfristig vom Mieter zum Vermieter zu mutieren. Damit tragen sie zwar zur Nutzung von ungenutzte Ressourcen bei, wie Experte Georgi sagt. Das ist aus ökologischer Sicht ein Vorteil. Aber diesem stehen die negative sozialen Folgen gegenüber.

Steuergelder gehen en masse verloren

Zu diesen gehört, dass sich die Sharing Economy um den Staat foutiert. Sie funktioniert nach dem Prinzip «Nur ja keine Steuern zahlen». Airbnb kassiert von den Vermietern Gebühren und wird damit reich. Steuern zahlen sollen, wenn schon, die Nutzer der Plattform. Doch welcher Airbnb-Vermieter hat schon Kurtaxen oder Beherbungsgebühren für seine Gäste bezahlt? Also das, was alle Hotels und Pensionen tun müssen? Der Hotelierverband reklamiert zu Recht unfaire Konkurrenz und verlangt Vorschriften für gleich lange Spiesse im Übernachtungswettbewerb.

Im Juni fragte SP-Nationalrat Carlo Sommaruga Finanzminister Ueli Maurer, wie er sicherstellen will, dass Airbnb die Steuern bezahlt. Maurer entgegnete, es seien gar keine Steuern fällig, weil Airbnb nicht in der Schweiz domiziliert sei. Und die Vermieter? Diese müssten wie die Hoteliers Steuern zahlen, so Maurer. Mehrwertsteuer sei aber erst ab einem Umsatz von 100'000 Franken geschuldet. Kontrollieren müssten das die Kantone. Aber welche kantonalen Steuerbeamten haben schon die Airbnb-Webseite nach steuerpflichtigen Anbietern abgegrast?

Das Problem ist ungelöst. Städte wie Bern sind inzwischen aktiv geworden: Seit Juni 2014 gilt in der Bundesstadt für Airbnb-Nutzer eine Medelpflicht beim Fiskus. Ein Teil hat sich daraufhin angemeldet, ein anderer nicht. Den Säumigen drohen Bussen bis zu 5'000 Franken. Das Vollzugsproblem ist offensichtlich. Auch gegen Umnutzungen gehen Städte vor. Berlin hat 2014 ein Zweckentfremdungsverbot erlassen: Wer Wohnungen an Touristen vermietet, braucht eine Genehmigung. In New York ist es verboten, eine Privatwohnung mehr als 30 Tage an Touristen zu vermieten. Auch London hat Einschränkungen erlassen. Und in Barcelona kassierte Airbnb Bussen wegen Verstössen gegen das Tourismusgesetz.

Es sieht nicht aus, als ob der Bund regulieren wollte

Der Vermietungskonzern steht heute überall im Gegenwind. Und in der Schweiz? Laut Ernst Hauri, Direktor des Bundesamts für Wonungswesen, prüft eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), ob es Massnahmen braucht. Der Bundesrat verabschiedet demnächst den Bericht «Digitale Wirtschaft». Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass keine beherzten Eingriffe zu erwarten sind. Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann meinte kürzlich sinngemäss, die Wirtschaft müsse sich anpassen, nicht die Regeln. Seco-Chefökonom Eric Scheidegger will lieber deregulieren statt regulieren und glorifiziert wacker die «faszinierenden Technologien». Ob das den schleichenden Wohnraumverlust durch Plattformanbieter bremsen wird?

Carlo Sommaruga, der neue SMV-Präsident, fordert gemeinsame Lösungen an einem runden Tisch aller Beteiligten. Ohne Regeln wird es kaum gehen. Diese braucht es, um die Zweckentfremdung von Wohnraum zu verhindern und den Städten die Möglichkeit zu geben, ihre Regeln durchzusetzen. Sei dies beim Erhalt von Wohnanteilen bis hin zu den Steuerfragen. Auch eine Meldepflicht für temporäre Zimmervermieter als Voraussetzung für den Vollzug muss diskutiert werden. Sommaruga schwebt speziell ein Rahmenmietvertrag für Internet-Vermieter vor. Da kann der MV ein Wort mitreden. Mietverträge gehören zu seiner Kernkompetenz.