20.10.2016
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So geht ein vorbildlicher Mieterschutz

Der Kanton Waadt beschloss gegen den Widerstand aus Immobilienkreisen ein neues Wohnschutzgesetz. Es setzt landesweit Massstäbe.

Gerade in den Kantonen am Genfersee sind die Mieten am meisten gestiegen. Mehr als in allen anderen Regionen der Schweiz. Die Differenz springt ins Auge: Die Angebotspreise für ausgeschriebene Wohnungen sind auf dem regionalen Markt um 220 Prozent angestiegen, während es im Tessin und in der Zentralschweiz nur 160 Prozent waren. Selbst in Zürich fiel der Verteuerung der Mieten gemäss den Berechnungen von Wüest & Partner geringer aus. Der Wohnungsmangel hat prekäre Folgen. Um ein Dach über dem Kopf zu haben, müssen im Kanton Waadt vier von zehn Mietenden mindestens ein Viertel ihres Budgets aufwenden. Die hohen Ausgaben für die Miete zwingen viele Alleinstehende, Familien oder Alleinerziehende, den Gürtel enger zu schnallen.

Die Überwälzung von Sanierungskosten auf die Mieten kann begrenzt werden

Lange Zeit wollten die Waadtländer Behörden von diesen Problemen nichts wissen. Sie sahen weg. Es brauchte die Volksinitiative des Mieterinnen- und Mieterverbands Asloca mit dem Titel «Stopp der Wohnungsnot», um die Sache endlich ins Rollen zu bringen. Die Regierung legte einen Reformvorschlag vor, der die Erhaltung der bestehenden Bausubstanz sowie die Förderung von bezahlbaren Wohnungen zum Ziel hat. Doch das Parlament und dessen Kommission brauchten ein Jahr, um den Entwurf zu beraten – und ihn im vergangenen Januar zurückzuweisen. Die Regierung legte dann ein Einheitsgesetz vor, das sowohl die Aspekte Sanierung und Wohnförderung als auch Raumplanung umfasst. Es sind Massnahmen vorgesehen, die viele Mietende von grossen Sorgen entlasten werden. Das Kantonsparlament hat dieses Gesetz im vergangenen Frühling mit einer soliden Mehrheit verabschiedet.

Das neue Gesetz verhindert hohe Mietaufschläge nach Renovationen, Sanierungen und Umwandlungen von Liegenschaften. Gleichzeitig trägt es dazu bei, dass mit vernünftigen Massnahmen bezahlbare Wohnungen entstehen. Der Erlass ist tatsächlich so griffig, dass Immobilienkreise dagegen das Referendum ergreifen mussten. Doch viele Politikerinnen und Politiker, selbst solche aus der politischen Mitte und sogar rechts davon, haben in der Schlussabstimmung im Kantonsparlament den intelligenten und massvollen Gesetzesvorschlag unterstützt. Er enthält zum Beispiel ein Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand: Gemeinden und Kanton können einem verkaufswilligen Eigentümer eine Liegenschaft zu einem Preis abkaufen, der mit einem anderen Erwerber ausgemacht wurde. Befürchtungen in Immobilienkreisen, wonach dies eine Einschränkung bedeutet, treffen nicht zu. Dies hat eine Mehrheit erkannt.

Das Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand beeinträchtigt weder die Privatinteressen des Eigentümers noch diejenigen von nahen Verwandten. Das Gesetz legt fest, dass der Eigentümer das Objekt zum selben Preis auch wieder zurückkaufen kann, wenn die Behörden innert drei bis fünf Jahren nichts getan haben, um die Liegenschaft sinnvoll zu nutzen. Für die Investoren gibt es im vorliegenden Gesetz zudem einen Vorteil: Sie erhalten einen Bonus, wenn sie in einer Überbauung mindestens 15 Prozent der Flächen für gemeinnützige oder preisgünstige Wohnungen reservieren.

Wird das neue Gesetz in der Volksabstimmung im kommenden Februar 2017 angenommen, so werden Abbrüche oder Umwandlungen von Liegenschaften kaum mehr zu Mietexplosionen wie bisher führen. Das kantonale Departement muss solche Sanierungsprojekte bewilligen oder zurückweisen. Die Behörde wird vor allem die Kosten begrenzen, die auf den Mietzins überwälzt werden können, sowie die Rendite während fünf Jahren kontrollieren. Neu: Die Mietenden müssen bei Sanierungen schriftlich vorinformiert werden, und der Vermieter muss sie nicht nur über das geplante Projekt, sondern auch über die mutmasslichen Folgen für die Mieten in Kenntnis setzen. Die Mietenden haben dann einen Monat Zeit, um selber Vorschläge und Bedenken einzureichen. Diese Bestimmung ist gut begründet, denn sowohl der Vermieter als auch die Mietenden haben ein Interesse daran, sich zur besten Lösung zu finden.

Es ist klar, dass der Widerstand und die wütenden Attacken gegen das neue Gesetz nur deswegen erfolgten, weil die Immobilienbranche um ihre Profite fürchtet. Alle anderen hingegen, denen es ums bezahlbare Wohnen geht, werden das Gesetz aus Überzeugung gutheissen.