05.11.2020
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Überraschungssieg in Luzern

Im Kanton Luzern haben die Stimmberechtigten eine Initiative zur Einführung der Formularpflicht angenommen. Sie ist ein Mittel im Kampf gegen die unablässig steigenden Mieten.

Am Schluss machten 364 Stimmen den Unterschied: 50,1 Prozent der Luzerner Stimmberechtigten sagten am 27. September Ja zur Initiative «Fair von Anfang an – dank transparenter Vormiete». Dieses Ja ist bemerkenswert, hatten doch selbst die Initiant*innen des Mieterinnen- und Mieterverbands kaum damit gerechnet. Sowohl der Kantonsrat als auch der Regierungsrat waren gegen die Initiative und von bürgerlicher Seite, namentlich vom Hauseigentümerverband, hatte es wie erwartet grossen Widerstand gegeben.
Grosse Zustimmung erhielt die Initiative insbesondere dort, wo die Menschen am meisten unter den hohen Mieten leiden. In der Stadt Luzern lag der Anteil Ja-Stimmen bei satten 68,6 Prozent.

Achter Kanton mit Formularpflicht

Luzern ist damit der achte Kanton, der eine Formularpflicht einführt. Neben den Westschweizer Kantonen Freiburg, Genf, Neuenburg und Waadt kennen Zug, Zürich und seit zwei Jahren auch Basel- Stadt dieses Instrument. Im Kanton Tessin ist zurzeit ein entsprechender Vorstoss im Kantonsparlament hängig.
Konkret bedeutet die Formularpflicht, dass die Vermieterschaft den Neumieter*innen beim Abschluss des Mietvertrags unaufgefordert auf einem amtlichen Formular mitteilen muss, wie viel die Mietenden vor ihnen für die gleiche Wohnung bezahlt haben. Eine allfällige Erhöhung der Miete muss begründet werden. Die Formularpflicht gilt allerdings erst, wenn die Leerstandsziffer im Kanton – also der Anteil der leer stehenden Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand – bei 1,5 Prozent oder darunter liegt. Im Kanton Luzern liegt sie momentan mit 1,53 Prozent knapp darüber.

Mit dem Slogan «Fair von Anfang an» warb der MV Luzern für seine Initiative.
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Mit dem Slogan «Fair von Anfang an» warb der MV Luzern für seine Initiative.

Mieten sind viel zu hoch

Die Formularpflicht schafft Transparenz. Aber nicht nur das: Sie ist auch ein Mittel im Kampf gegen die ständig steigenden Mieten. Gemäss einer Studie der Raiffeisen Bank von 2017 zahlen Mietende hierzulande 40 Prozent zu viel für ihre Wohnungen. Dabei befinden sich die Hypothekarzinsen seit 2008 in einem nie dagewesenen Sinkflug. Analog dazu ist der Referenzzinssatz, der sich auf den hypothekarischen Durchschnittszinssatz der Banken stützt, seit seiner Einführung 2008 von 3,5 auf heute 1,25 Prozent gesunken. Da die Mieten an den Referenzzinssatz angepasst werden müssten, sollten eigentlich auch sie sinken. Das tun sie aber nicht – im Gegenteil. Gemäss dem Mietindex des Bundesamts für Statistik steigen sie seit Jahrzehnten an. Seit dem Jahr 2000 um mehr als 28 Prozentpunkte. 
Ein Problem ist, dass viele Vermieter*innen die Senkungen des Referenzzinses nicht an die Mietenden weitergeben. Es gibt aber noch einen anderen Grund für die unablässig steigenden Mieten: Wechsel in der Mieterschaft werden oft für eine Erhöhung des Mietzinses genutzt. Manche Eigentümerschaften gehen sogar so weit, ganze Liegenschaften leerzukündigen, nur damit sie die Mieten und damit ihre Rendite erhöhen können.

Formular bringt Transparenz

Solche Mietzinserhöhungen sind missbräuchlich, solange die Vermieterschaft sie nicht durch steigende Kosten rechtfertigen kann. Die Mietenden haben das Recht, sie bei der Schlichtungsstelle anzufechten. Diese nimmt eine Überprüfung des Anfangsmietzinses vor, sofern bestimmte Voraussetzungen – etwa eine Mieterhöhung um mehr als 10 Prozent – gegeben sind.
Das Problem ist nur: Meist wissen die neuen Mietenden gar nicht, wie hoch die Miete vorher überhaupt war. Von Gesetzes wegen haben sie zwar das Recht, es zu erfahren. Doch viele wollen sich verständlicherweise nicht gleich zu Beginn mit der Vermietung anlegen. Hinzu kommt, dass der gesetzliche Informationsanspruch nur schwer durchgesetzt werden kann. Es hat für die Vermieterschaft keine rechtlichen Folgen, wenn sie sich weigert, den Vormietzins offenzulegen.
Das Formular sorgt für klare Verhältnisse und schafft Transparenz zwischen den beiden Vertragsparteien. Der Mieterschaft hilft es dabei, eine mögliche ungerechtfertigte Mieterhöhung zu erkennen und gegebenenfalls dagegen vorzugehen. Die Vermieterschaft wiederum wird sich eine ungerechtfertigte Erhöhung zweimal überlegen, wenn sie diese den neuen Mietenden auf einem Formular mitteilen muss.
Die Statistik der Schlichtungsbehörden zeigt, dass in Kantonen mit Formularpflicht etwas mehr Mietende von ihrem Recht Gebrauch machen, den Anfangsmietzins anzufechten. Gesamtschweizerisch ist der Anteil Schlichtungen mit diesem Inhalt allerdings immer noch sehr tief.

Auch der Bundesrat wollte sie

Das Anliegen der Formularpflicht kommt übrigens keineswegs immer nur aus der Ecke des Mieterinnen- und Mieterverbands, wie man meinen könnte: 2015 war es unsere Landesregierung, die die Formularpflicht als Massnahme gegen den Anstieg der Mietzinse einführen wollte. Und zwar landesweit und unabhängig von der jeweils aktuellen Leerstandsziffer. In seiner Botschaft schrieb der Bundesrat damals, mit der Änderung bezwecke er «mehr Transparenz und damit eine preisdämpfende Wirkung auf dem Mietwohnungsmarkt». National- und Ständerat schickten das Vorhaben jedoch bachab, noch bevor es überhaupt beraten wurde. Seither liegt der Ball wieder bei den Kantonen.