06.03.2015
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Wie weiter mit Stefanini?

Viele Stefanini-Mieter sorgen sich um die Zukunft des Immobilienimperiums und starten jetzt eine Interessengemeinschaft.

«Er war frühmorgens immer der erste, der am Flohmarkt herumstrich», weiss eine Winterthurerin über Bruno Stefanini zu berichten. In der Eulachstadt ist der eigenwillige Milliardär, der so gar nicht wie ein reicher Mann auftrat, ein Begriff. Stefanini machte sich zeitlebens nicht nur nichts aus den Statussymbolen des Reichtums. Er wirkte vielmehr wie einer, der nicht einmal weiss, wie er die nächste Miete bezahlen kann.

Der seltsamste Milliardär der Schweiz

In der Winterthurer Steinberggasse gehört ein Grossteil der Häuser Bruno Stefanini. Viele davon sind unrenoviert.
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In der Winterthurer Steinberggasse gehört ein Grossteil der Häuser Bruno Stefanini. Viele davon sind unrenoviert.

Viele Geschichten kursieren in Winterthur über einen seiner reichsten Einwohner. So soll er bis zu seiner Erkrankung sieben Tage die Woche gearbeitet haben. Er lebt zurückgezogen in einer seiner Liegenschaften. Auch schon soll er in einigen seiner leerstehenden Häuser übernachtet haben. Im Winterthurer Stadthaus ist er als ein schwieriger Dauerkunde bekannt. Immer wieder gingen Beschwerden über seine zerfallenden Häuser ein. Doch Stefanini zeigte sich wenig kooperationsbereit. In der Steinberggasse, wo ihm ein Grossteil des Grundeigentums gehört, musste die Stadt zwei Häuser einrüsten lassen, weil sie für die Passanten gefährlich zu werden drohten. 

Stefanini war ausserdem ein Kunstfan und schuf eine der grössten privaten Sammlungen der Schweiz mit Werken von Hodler, Segantini oder Giacometti. Ein unbändiger Sammlertrieb liess ihn auch Kuriositäten wie den Rolls Royce von Greta Garbo oder die Taschenuhr von General Guisan erwerben. Laut Schätzungen soll die Sammlung anderthalb Milliarden Franken wert sein. Ins Zentrum rückte der exzentrische Sammler seit einigen Monaten, weil sich die Verantwortlichen seiner Stiftung und die Nachkommen um das Vermögen streiten. Stefanini lagerte es schon früh in eine Stiftung aus. Seit er wegen seiner Altersdemenz die Geschäfte nicht mehr selber führen kann, ist ein Machtkampf um die Führung ausgebrochen.

Streit um Kunstsammlung betrifft auch Mieterinnen und Mieter

Dieser Kampf betrifft auch die zahlreichen Mietenden in den Stefanini-Liegenschaften. Wie viele es genau sind, weiss niemand zu sagen. Schätzungen sprechen von rund 1'500 in der Stadt und 700 in der Umgebung. Sie sind alle verunsichert, wie es nun weitergehen soll. «Wir erhielten mehrere Anfragen, und einige Betroffene waren auch bei uns in der Sprechstunde», sagt Katharina Gander, Leiterin der Winterthurer Geschäftsstelle des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich. Viele fürchten um ihre günstigen Mieten. In den unrenovierten Liegenschaften gibt es noch Wohnungen mit bescheidenem Komfort, die für Preise zu haben sind, die es sonst in Winterthur längst nicht mehr gibt. Würden sie renoviert, so könnten sie wegen der zentralen Lage gut und gerne das Doppelte bis Dreifache an Miete abwerfen. 

So gesehen trägt der Winterthurer Immobilienkönig mit seiner Eigenwilligkeit dazu bei, dass es im boomenden Winterthur noch Mieten für eine Mehrzimmerwohnung von um die tausend Franken pro Monat gibt, wenn auch in teilweise abbruchreifen Häusern. Eine weniger kapitalkräftige Klientel – Junge, Geringverdiener, Alternative, Aussenseiter, einkommensschwache Familien – findet hier Unterschlupf und bleibt vor grossen Problemen auf dem teuren freien Wohnungsmarkt verschont. Würden diese Wohnungen auf einen Schlag verschwinden, so hätte Winterthur ein soziales Problem mehr.

Mieter organisieren sich

Solange der Machtkampf um die «Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte» andauert, bleibt die Ungewissheit für die Stefanini-Mietenden bestehen. Und mit ihr die Angst, dass die günstigen Mieten dereinst durch eine renditeorientierte Immobilienpolitik der Eigentümerschaft mit Abriss und Luxussanierungen bedroht sein könnten. Dies weckt aber auch Kräfte: Einige Stefanini- Mieter haben sich zu organisieren begonnen, um ihre Interessen gemeinsam wahrzunehmen. Der MV Winterthur ist bereit, ihnen dabei Schützenhilfe zu leisten. In einem ersten Schritt haben die Mieter eine Webseite aufgeschaltet, die den Zweck hat, Betroffene zu sammeln. Wer in einer Stefanini-Liegenschaft wohnt, soll sich melden und so über eine Online-Karte dazu beitragen, dass Transparenz über das Immobilienimperium entsteht.

Informationen der Interessengemeinschaft der Bewohner der Stefanini-Liegenschaften auf iggbsl.wordpress.com

Bruno Stefanini

Der Winterthurer Bruno Stefanini (90) gehört zu den seltsamsten Vermögenden der Schweiz. Er hat eine grosse Kunstsammlung angelegt und mit seiner Terresta AG ein unüberschaubares Immobilienimperium aufgebaut. Zahlreiche Liegenschaften in der Winterthurer Altstadt gehören ihm, darüberhinaus auch vier Schlösser. Insgesamt soll er Eigentümer von 5'000 Wohnungen sein. Er selber wohnt in einem dieser bescheidenen Altstadthäuser. Etliche davon sind vom Zerfall bedroht. Mietende in diesen Wohnungen profitieren von sehr niedrigen Mieten. Anderseits müssen sie sich, was die Einrichtungen betrifft, selber helfen, weil Stefanini nicht als sanierungsfreudig bekannt ist. Die Zukunft des Liegenschaftenbestands ist ungewiss. Stefanini ist schwer erkrankt und nicht mehr in der Lage, sein Imperium selber zu bewirtschaften.