06.03.2015
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Unterwegs mit Politur und Stahlwatte

Sophie Marty aus Luzern war eine der ersten Wohnungsabnehmerinnen der Mieterbewegung. Sie erinnert sich.

«1985 wurde ich vom Mieterverband Luzern gefragt, ob ich bereit wäre, als Wohnungsabnehmerin zu wirken. Der bisherige Wohnungsabnehmer arbeitete sowohl für den MV als auch für die Vermieterseite, und dies war nicht mehr akzeptabel. So wurde ich die erste Wohnungsabnehmerin des MV in Luzern. Eine Einführung erhielt ich im Hotel Bern an einem Kurs des MV. Jeder Teilnehmer musste dort ein Hotelzimmer abnehmen. Sonst habe ich mir alles selber angeeignet. Mein Vorteil war, dass ich handwerklich begabt war und in meiner eigenen Wohnung schon immer alles selber machte. Noch heute helfe ich Nachbarn bei kleineren Arbeiten.

Viel Schimmel und Raucherschäden

Sophie Marty, eine jahrzehntelange Stütze der Mieterbewegung.
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Sophie Marty, eine jahrzehntelange Stütze der Mieterbewegung.

Zur Vorbereitung einer Wohnungsabnahme telefonierte ich mit den Mietern. Mögliche Probleme wurden vorbesprochen. Schon damals war der Schimmel ein grosses Thema. Wichtiger als heute waren damals die Raucherschäden. Die Leute rauchten in jener Zeit noch viel mehr in der Wohnung, die manchmal ganz schwarz vom Rauch waren. Auch Schäden von Hunden waren häufiger. Immer wieder vermittelte ich auch bei Zahlungsrückständen von Mietern, damit die finanziellen Probleme geregelt werden konnten. Dank der Sozialhilfe haben diese Probleme abgenommen. 

Ich hatte immer eine Tasche mit Putzmittel dabei, um Wände abzuwaschen, Politur hell und dunkel für Türen, Stahlwatte für Platten zu schwärzen, Sicherungen, kleinere Lampen, Wasserpackungen, Schraubenzieher, Anschlüsse für Wasserhahnen, Entkalker, WC-Reiniger, Putzlumpen und -bürsten. Pro Jahr machte ich rund hundert Wohnungsabnahmen.

Hilfe bei Messie-Wohnung

Einen Schock erlebte ich, als ich bei einem Mieter eine überstellte Wohnung antraf. Alles war einen halben Meter hoch belegt, die Regale übervoll. Ich schindete für den Mieter einen Monat Zeit heraus und ging jeden Morgen um 9 Uhr zu ihm, um zu schauen, was er geräumt hatte. Ein anderer Vermieter wollte in der gleichen Wohnung zum dritten Mal bei einem Mieterwechsel ein zerkratztes Fenster verrechnen. Da ich aber die Protokolle der früheren Wohnungsabnahmen aufbewahrt hatte, kam er damit nicht durch. Die meisten Wohnungsabnahmen verliefen aber gut. Die Mieter nutzten den Wohnungsabnahmedienst des MV, weil sie unsicher waren und froh, dass jemand bei der Abnahme dabei ist. Ich selber habe keine Begabung zum Streiten. Vielleicht konnte ich deshalb zu guten Lösungen beitragen.»

Sophie Marty

Sophie Marty, geb. 1925, wurde Anfang der 1970er-Jahre Mitglied des Vorstands der Luzerner Wohnbaugenossenschaft ABL. Traditionellerweise war ein Vorstandsmitglied der ABL auch im Vorstand des Mieterinnen- und Mieterverbands. Sophie Marty übernahm diese Aufgabe 1986, ein Jahr nachdem sie ihre Aufgabe als Wohnungsabnehmerin angetreten hatte. Sie blieb bis 2003 Vorstandsmitglied und machte bis 2005 Wohnungsabnahmen.