06.03.2015
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Frankenkrise: Fehltritt der Nationalbank

Die Euroentkoppelung dürfte den Druck auf die Mieter erhöhen. Der Ruf nach einem vernünftigen Wechselkurs wird lauter.

Am 15. Januar löste das dreiköpfige Direktorium der Nationalbank (SNB) unter Thomas Jordan ein Erdbeben aus. Die Aufhebung des Mindestkurses des Frankens zum Euro von bisher Fr. 1.20 führte schlagartig zu einer massiven Frankenaufwertung. Der Kurs zum Euro sackte auf unter 1 Franken ab. Bis Redaktionsschluss kletterte er mühsam wieder auf etwa Fr. 1.05. Welche Kräfte den Kurs derzeit beeinflussen, ist unklar. Ebenso ist es die Tätigkeit der SNB hinter den Kulissen.

Verlängerte Arbeitszeiten, gekürzte Löhne

Doch jetzt werden die Folgen des SNB-Entscheids spürbar. Exportindustrie und Tourismus sehen wegen der Verteuerung ihrer Produkte schweren Zeiten entgegen. Tausende Arbeitsplätze sind gefährdet. Immer mehr Unternehmen, darunter Grosse wie Bühler, GF, Stadler Rail oder V-Zug, haben die wöchentliche Arbeitszeit bis zu fünf Stunden verlängert. Andere haben gar die Löhne gekürzt. Inzwischen schütteln viele den Kopf: Dürfen drei Herren an den Schalthebeln der SNB einfach so eine Volkswirtschaft in derartige Probleme verwickeln?

Senkung Referenzzins wahrscheinlich

Wegen der andauernden Tiefzinspolitik halten Fachleute eine weitere Senkung des Referenzzinses von 2 auf 1,75 Prozent für so gut wie sicher. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe sank der Durchschnitt der Hypotheken weiter ab. Das heisst, dass sich für Mietende bald eine weitere Möglichkeit bietet, eine Mietzinssenkung einzufordern. Für jene, die das bisher noch nicht getan haben, heisst es: Jetzt oder nie! Denn eine nochmalige Senkung, so nehmen Zinsexperten einmütig an, wird es kaum geben.

Noch mehr Kapital fliesst in den Immobilienmarkt

Mittelfristig sehen die Aussichten anders aus. Weil die SNB «Strafzinsen» von minus 0,75 Prozent für das bei ihr deponierte Geld verlangt, sind Banken, Versicherer, Pensionskassen und Investoren zu Investments gezwungen. Das ist ja auch der Sinn dieser «Parkgebühr»: Sie soll das Bunkern von Franken verhindern und die Wirtschaft ankurbeln. Nur: Was tut flüchtiges Kapital? Wenn anderswo keine höheren Renditen locken, fliesst es erfahrungsgemäss in den Immobilienmarkt, wo sichere, beständige Renditen warten. Beobachter gehen somit mittelfristig von steigenden Immobilienpreisen aus. «In Zeiten von Negativzinsen ist die Flucht in reale Anlagegüter, also Immobilien, besonders gross», analysiert Nationalrätin und SMV-Vorstandsmitglied Jacqueline Badran. 

Sie sieht mehr Kapital auch in indirekte Immobilienanlagen strömen. Das heisst in börsenkotierte Immobilienkonzerne wie Swiss Prime Site, Allreal oder Mobimo. Hier zählt nur der Aktienkurs und nicht der eigentliche Wert einer Immobilie. Wegen der offenen Märkte dürfte vermehrt globales Kapital in Schweizer Immobilien drängen, zum Beispiel dasjenige von russischen Oligarchen. Oder von chinesischen Milliardären, deren Zahl steil ansteigt. Es wird hierzulande mehr und mehr Mieterinnen und Mieter geben, deren Vermieter Fonds und Finanzgesellschaften mit Kapital aus aller Herren Länder sind.

Steigender Druck auf Mieterinnen und Mieter

Unter solchen Vorzeichen sind weiter steigende Mieten vorprogrammiert. Je mehr renditesuchendes Finanzkapital auf den Immobilienmärkten, desto mehr Druck auf die Mieten – selbst bei andauernder Tiefzinslandschaft. Die Freigabe des Wechselkurses durch die SNB heizt nicht nur die Devisenspekulation an, die wieder gute Geschäfte machen kann. Sie wird sich auch auf die Immobilienspekulation auswirken. Braucht das die Mehrzahl der Bevölkerung, die in Miete wohnt? Sicher nicht. Aus dem Lager der SP und der Gewerkschaften wird deshalb die Forderung laut, die SNB müsse zurückrudern und wieder einen vernünftigen Wechselkurs garantieren. Selbst Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) findet, dass ein solcher bei Fr. 1.20 liegt, also beim früheren Mindestkurs. 

Gemäss dem Chefökonomen des Gewerkschaftsbunds, Daniel Lampart, liegt ein realer, an der Kaufkraftparität gemessener Kurs bei über Fr. 1.30. Davon ist ein nun wieder spekulativ aufgepumpter Schweizerfranken weit entfernt. Laut Lampart hat nur die SNB die geldpolitischen Mittel, wieder geordnete Verhältnisse herzustellen. Dabei richte es keinen Schaden an, wenn sie weiterhin Milliarden für Stützungskäufe einsetzen müsse. Der Grund: Eigenes Geld kostet die SNB nichts, denn sie kann es als einzige Bank selber schöpfen. Auch die Furcht vor «Milliardenverlusten» sei unbegründet. Solche bestünden im Wesentlichen nur auf dem Papier. Kurzum: Die SNB ist eben keine Bank wie jede andere.

Deutscher Ökonom spricht von Kapitulation vor Spekulanten

Der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck meint zum SNB-Entscheid, die Schweiz habe vor den Spekulanten kapituliert. Die Aufhebung des Mindestkurses sei unnötig gewesen. Das Argument, es habe keine Alternative zur Aufhebung der Untergrenze zum Euro gegen, sei falsch. Die SNB hätte weiterhin unbegrenzt Euro zur Verteidigung des Kurses kaufen können. Und nichts wäre passiert ausser der Aufblähung der Bilanz der SNB. Das sehe zwar unschön aus, habe aber weiter keine Bedeutung. Es lohnt sich, Flassbecks kritische, vom Mainstream abweichende Ansichten auf seinem Blog zu verfolgen. Auch die Ökonomen der SNB sollten sie lesen. Oder noch besser: befolgen!