14.11.2014
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M+W

«Nebenkosten müssen wirtschaftlich sein»

Im M&W-Interview betont Mietrechtsexperte Andreas Béguin, dass Vermieter nur wirtschaftlich gerechtfertigte Nebenkosten überwälzen dürfen.

Andreas Béguin.
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Andreas Béguin.

M&W: Andreas Béguin, Sie haben in der Fachzeitschrift «Mietrechtspraxis» einen Aufsatz zum Thema Nebenkosten publiziert, der zu reden gibt.* Was hat Sie dazu veranlasst?
Andreas Béguin: Das Thema Nebenkosten hat sehr an Aktualität gewonnen. Denken Sie nur an an die ständige Verteuerung der Mietkosten in den letzten Jahren. Die Bedeutung der Nebenkosten ist stark gestiegen. Damit verbunden sind auch neue juristische Fragen aufgetaucht. 

Sind die Nebenkosten an den hohen Mieten schuld?
Sie tragen neben dem allgemeinen Kostenanstieg erheblich zu den Mietpreissteigerungen bei. Die Vermietungspraxis hat sich auch geändert. Viele Verwaltungen sind dazu übergegangen, mehr und mehr Nebenkostenpositionen aus dem Mietzins auszulagern und den Mietenden separat zu verrechnen. Dadurch haben sich die Nebenkosten zu einer Art «zweiten Miete» entwickelt. 

Mietende müssen bei der jährlichen Nebenostenabrechnung teils immer höhere Nachzahlungen leisten. Was läuft falsch?
Das Mietrecht legt den Grundsatz fest, dass der Vermieter lediglich die tatsächlichen Kosten überwälzen darf. Er darf somit mit den in Rechnung gestellten Nebenkosten keinen Gewinn erzielen. Das Prinzip der tatsächlichen Kosten gilt, egal welches System angewendet wird – ob Akontozahlungen mit jährlicher Abrechnung oder Pauschalerhebung. Es besteht aber für den Vermieter keinerlei Anreiz, die Kosten kritisch zu überprüfen. Denn er kann sie ja tel quel überwälzen. So wird zu wenig beachtet, dass die Leistungen auch wirtschaftlich sein müssen. 

Woraus leiten sie diese Forderung ab?
Sie lässt sich rechtsdogmatisch begründen. In meinem Aufsatz führe ich das genauer aus. Hier nur so viel: Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit lässt sich aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Zivilgesetzbuchs abeiten, der für alle Bereiche gilt. Obwohl er im Mietrecht nicht speziell erwähnt ist, muss er selbstverständlich beachtet werden. Das Prinzip von Treu und Glauben spielt dabei eine wichtige Rolle. Daraus wird abgeleitet, dass der Vermieter zu loyalem Verhalten verpflichtet ist. Das heisst, er muss die Interessen der Mieter berücksichtigen. Bezüglich Nebenkosten heisst das nichts anderes, als dass dem Mieter nur die wirtschaftlich gerechtfertigten Nebenkosten weiterzubelasten sind.

«Würde der Vermieter die Nebenkosten auch selber berappen?»

Schön und gut. Aber was heisst das konkret?
Die Aufwendungen des Vermieters für die Nebenkosten müssen sich in einem sachlichen und vertretbaren Rahmen halten. Ob das der Fall ist, lässt sich am besten an einer Frage ablesen: Hätte der Vermieter diese Kosten auch selber berappt, wenn er sie nicht überwälzen könnte? Weiter muss das Kosten-Nutzen-Verhältnis vertretbar sein. Hier muss man auf die Umstände des Einzelfalls abstellen. Allgemein ist zu sagen, dass der Vermieter dafür besorgt sein muss, dass die Mietliegenschaft zu günstigen Konditionen bewirtschaftet wird. 

Es lässt sich lange darüber streiten, was günstige Konditionen sind und was nicht...
Natürlich spielt der Preis der Leistung eine Rolle. Es sind aber auch andere Kriterien zu beachten. Zum Beispiel die Zuverlässigkeit eines Leistungserbringers. Bekanntlich ist nicht immer das billigste Angebot das beste. Im Übrigen haben sich auch schon die Gerichte mit dieser Frage beschäftigt. 

Und was kam dabei heraus?
Ich verweise auf ein Urteil des Obergerichs Zürich vom 26. August 1999. Dort entschied das Gericht eine Streitfrage über einen überhöhten Hauswartlohn und urteilte, dass der Vermieter dem Hauswart nicht einen unüblich hohen Lohn zahlen darf. Auch müsse die Hauswartung der konkreten Liegenschaft angepasst sein. Damit hat sich das Gericht implizit zum Grundsatz der Wirtschaftlichkeit geäussert. 

Hat das Bundesgericht nie zu diesem Problemkomplex entschieden?
Leider nein, so weit mir bekannt ist. Ich vermute, dass dies auf die hohe Streitwertgrenze von 15'000 Franken zurückzuführen ist. Dieser Streitwert wird in Nebenkosten-Angelegenheiten in der Regel nicht erreicht. Es wäre aber im Interesse der einheitlichen Rechtsanwendung wünschenswert, dass der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz vom höchsten Gericht kommentiert wird.  

Noch einmal: Was muss vom Vermieter in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit erwartet werden?
Der Vermieter hat das Gebot der Sparsamkeit zu beachten. Dafür gibt es einen objektiven Massstab, nämlich die verkehrs- und ortsüblichen Preise. Er muss vor der Vergabe des Auftrags Kostenvergleiche anstellen und Konkurrenzofferten einholen. Vergibt ein Vermieter einfach an einen Verwandten oder an einen Freund, so deutet dies auf eine Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots hin, wenn die Preise höher als üblich sind. 

Im Fall Livit war die Auslagerung der Hauswartung an eine Tochterfirma zu beobachten. Ist das zulässig?
Meines Erachtens nicht, vor allem wenn dadurch höhere Kosten für die Mieter entstehen. Bei der Vergabe an eine Tochterfirma besteht seitens des Vermieters kein Interesse an niedrigen Preisen. Der Vermieter profitiert ja wirtschaftlich von der Tochterfirma. Ein Kostenanstieg bei einem solchen Wechsel deutet nicht nur auf einen Verstoss gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot hin, sondern auch auf eine Gewinnorientierung des Vemieters, was bei Nebenkosten unzulässig ist.

Was ist, wenn bei kleineren Liegenschaften mit wenigen Partien plötzlich ein Hauswart angestellt wird, den es eigentlich gar nicht braucht?
Wenn kein sachlicher Grund für die zusätzliche Anstellung eines vollamtlichen Hauswarts vorhanden ist, deutet dies ebenfalls auf eine Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots hin. Solche bereits im Grundsatz unwirtschaftlichen Hauswartskosten sind nicht auf die Mieter überwälzbar, auch wenn sie mietvertraglich ausgeschieden sind und vom Vermieter belegt werden. Übrigens stellt sich die Frage der wirtschaftlichen Vertretbarkeit genau so bei Service- und Wartungsverträgen. Hier sind besonders die oft eingerechneten Kostenanteile für Reparaturen und Unterhaltsarbeiten zu beachten. Diese dürfen nicht überwälzt werden, da sie bereits mit der Miete beglichen sind. 

Es gibt Vermieter, die zu viel heizen, mit dem Resultat zu hoher Heizkosten. Muss man das bezahlen?
Überhöhte Heizkosten, die auf mangelnden Unterhalt einer alten Heizanlage zurückzuführen sind, müssen als unnötige Kosten angesehen werden. Sie können dem Mieter nicht weiter belastet werden. Es ist in der Praxis aber eher schwierig darzutun, dass eine Heizung nicht nach den Regeln der Technik funktioniert. Im Streitfall bietet sich dann eine Expertise als Beweismittel an. 

In der Beratungspraxis des MV gilt die Empfehlung, dass zehn Prozent höhere Nebenkostenabrechnungen zur Nachprüfung veranlassen sollen. Müssen wir diesen Rat modifizieren?
Nein. Kostensteigerungen müssen in jedem Fall plausibel und begründet sein. Was sachlich nicht begründet und teurer ist, verletzt das Gebot der Wirtschaftlichkeit. Das müssen Mietende nicht hinnehmen. Sie sollten aber beim Gang zur Schlichtungsbehörde darauf achten, dass sie eine Abrechnung oder eine Nachforderung möglichst detailliert bestreiten. Nur zu sagen, die Hauswartrechnung sei zu hoch oder die Rechnung falsch, genügt nicht. Umgekehrt sind die Schlichtungsbehörden und die Gerichte gehalten, die umstrittenen Kosten genau abzuklären. Weigert sich ein Vermieter, die Unterlagen vorzulegen, so muss ohne weitere Beweiserhebungen auf eine Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes geschlossen werden. 

Sind Sie der Ansicht, dass es punkto Nebenkosten eine gesetzliche Regelung braucht?
In Deutschland ist das Wirtschaftlichkeitsgebot explizit geregelt. Das wäre auch für die Schweiz wünschbar. Zu ergänzen wäre z.B. die Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (VMWG). In Artikel 4 müsste in Absatz 1 ergänzt werden: «Erhebt der Vermieter die Nebenkosten aufgrund einer Abrechnung, muss er diese jährlich mindestens einmal erstellen und dem Mieter vorlegen. Er hat dabei den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu beachten.» 

* Siehe «Mietrechtspraxis» mp 4/2014, Seite 179.