06.06.2014
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M+W

So zockt der Immobilienriese Livit die Mieter ab

Der Ärger über die Livit AG ist überall gross. Immer mehr Mietende wehren sich gegen überhöhte Nebenkosten. Doch die Immobilienbewirtschafterin zeigt sich nicht gewillt einzulenken.

So viel Post hat M&W noch nie erhalten: Der Aufruf in der letzten Ausgabe, Erfahrungen mit der Livit AG mitzuteilen, hat ein starkes Echo ausgelöst. Und zwar ein durchwegs negatives: Sämtliche Einsender beklagen sich über überhöhte Nebenkosten und schlechte Leistungen, insbesondere bei der Hauswartung. Teils ist die Empörung gross. Einer schrieb: «Ich bin umgezogen und froh, dass ich nichts mehr mit dieser Firma zu tun habe.» 

Über 1‘200 Franken als Nachforderung

M&W berichtete über einen Streitfall im Thurgau. Mietende in einer Siedlung erhielten eine astronomische Abrechnung für die Hauswartung mit einer Nachforderung von rund 1'200 Franken, dem Doppelten wie bisher. Weil die Livit nicht einlenkte, liegt der Fall jetzt vor dem Bezirksgericht Arbon. Es ist noch kein Urteil ergangen. «Es laufen noch Verhandlungen mit der Livit», sagt Hugo Wehrli, Geschäftsleiter des MV Ostschweiz. Ein Vergleich ohne Urteil ist noch möglich.

 

Überall zeigt sich dasselbe Bild: Seit die Livit die Hauswartung in eine Tochtergesellschaft namens Livit FM Services AG ausgelagert hat, explodierten die Kosten. Hier einige Belege, die M&W in den letzten Wochen erhalten hat.

 

  • Bei einer Siedlung mit fünf Wohnblöcken in Grenchen stiegen die Hauswartskosten von 39'000 auf 54'000 Franken.
  • In Flawil verlangte die Livit von einem Mieter eine Nachzahlung von über 1'200 Franken. «Ich war geschockt», so der Betroffene.
  • In einer Siedlung in Lausen BL stiegen die Hauswartkosten in einem Jahr von 37'000 auf 46'000 Franken.
  • Eine Mieterin aus Stans berichtet: «Uns hat fast der Schlag getroffen, wir bekamen eine Nachzahlung von über 1'000 Franken.»

Nebenkosten werden zum Geschäft

Es gibt Fälle, in denen die Nebenkosten mittlerweile bis zu einem Drittel der Miete ausmachen. Was ist passiert? Vor zehn Jahren hat die Livit, wie andere Profi-Verwaltungen auch, damit begonnen, sämtliche Nebenkosten aus den Mietverträgen auszugliedern. Dann gründete sie 2008 mit der Livit FM Services AG die besagte Tocherfirma. Mit dieser schloss sie Pauschalverträge über die Bewirtschaftung der Liegenschaften ab. Alle Hauswarte der Swiss Life, der die Livit gehört, wurden nun Angestellte der Tochterfirma.

 

Dieses Modell ist jedoch problematisch. «Wenn die Livit quasi mit sich selber Verträge abschliesst, so wird aus den Nebenkosten ein Geschäft», sagt Ruedi Spöndlin. Als AG mache die Tochterfirma Gewinn, den die MieterInnen über die Nebenkostenabrechnung mitberappten. Das kollidiert aber mit dem Mietrecht. Denn dort gilt der Grundsatz, dass der Vermieter aus den Nebenkosten keinen Gewinn schlagen darf. Nur tatsächliche Kosten dürfen weiterverrechnet werden. Und wenn diese überrissen sind? Dann empfiehlt der MVD, die Belege einzusehen und zweifelhafte Rechnungen vor der Schlichtungsstelle anzufechten.

 

Obwohl Mietende das Recht auf Einsicht in sämtliche Belege haben, rückte die Livit bis anhin keine Details zu den Pauschalverträgen mit ihrer Tochterfirma heraus. So kann nicht kontrolliert werden, ob auch unzulässige Leistungen verrechnet werden, zum Beispiel Unterhaltsarbeiten oder Reparaturen. Diese sind bereits durch den Mietzins abgegolten und dürfen nicht überwälzt werden. Immerhin haben sich inziwschen etliche Mietende gewehrt und übersetzte Abrechnungen angefochten. Mit Erfolg: In diversen Fällen kam es vor Schlichtungsstelle zu Vergleichen mit reduzierten Beträgen. Es zeigt sich also: Wer sich wehrt, hat gute Aussichten auf Erfolg. Wer aber bloss zahlt und die Faust im Sack macht, hat das Nachsehen. 

«Professionalisierung» verschlechtert Leistungen

Anscheinend ist der Livit der Trick mit der eigenen Tochtergesellschaft nicht mehr geheuer. Sie hat jetzt die Hauswartungen neu ausgeschrieben und den Auftrag an den Reinigungskonzern ISS vergeben (siehe Interview). Erste Anzeichen deuten auf reduzierte Abrechnungen hin. Doch das Problem bleibt: Müssen Mietende einfach alle Kosten aus Pauschalverträgen des Vermieters übernehmen? Nein, denn es gilt laut MV-Rechtsexperte Ruedi Spöndlin auch das Wirtschaftlichkeitsgebot. Und für ihn ist klar, dass bei den Kosten volle Transparenz herrschen muss. Es sei unzulässig, wenn Details in den Pauschalverträgen nicht offengelegt würden.

 

Die Geschäftspraxis der Livit widerspiegelt den Trend in der Immobilienwirtschaft, durch eine systematische Bewirtschaftung einen maximalen Ertrag aus den Liegenschaften herauszuholen. Das Schlagwort heisst jeweils «Professionalisierung». Oft werden aber die Leistungen nicht besser, sondern schlechter. «Seit die Livit FM Services die Aufgabe übernommen hat, leben wir im Dreck», empört sich eine Mieterin aus Baselland. Es werde nur noch gewischt statt geputzt. «Der Hauswart heisst jetzt "Objektbetreuer" und ist nur noch montags in der Überbauung, während unser früherer Hauswart hier lebte und immer wieder Kontrollgänge machte», berichtet ein Mieter aus dem Kanton Solothurn. Zahlreiche Klagen beziehen sich auf schlechten Service, nicht zuletzt der Livit selbst. «Wir wurden bei Anfragen stets abgewimmelt», sagt eine Mieterin. Nachbarn hätte es bereits aufgegeben, da nie eine zuständige Person erreichbar sei.

 

Trotz Dementi seitens der Livit (siehe Interview) bleibt der Eindruck, dass das Unternehmen vor allem auf Ertrag aus ist. Bei 140'000 Mietobjekten zeigt eine einfache Rechnung, dass das Ertragspotenzial bei der Nebenkostenabrechnung riesig ist und sich selbst bei Kleinstbeträgen im Einzelfall zu Millionenererträgen summiert. Die Praxis der Livit bei der Verwaltungskostenpauschale zeigt, dass sie überall den Maximalbetrag von 4,8% eintreiben will. Dies obwohl in weiten Gebieten der Deutschschweiz nur 3% plus Mehrwertsteuer üblich sind. Gerichtsurteile wie im Kanton St.Gallen, die das bestätigten, ignoriert die Livit. Sie senkt die Pauschale nur unter Zwang bei erfolgreichen Klägern, bei allen anderen, selbst wenn sie in demselben Mehrfamilienhaus wohnen, jedoch nicht.

 

In der Eigenwerbung preist sich der Facility-Konzern den Kunden mit folgendem Slogan an: «Optimierung von Rendite und Ertragskraft». Ungesagt bleibt, dass dies stets auf Kosten der Mietenden geht.