09.05.2017
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Ein Mieter-Kämpfer im Hüsli-Kanton

Zweimal gewann Urs Thrier vor Bundesgericht. Der Geschäftsleiter des MV Baselland ist der Schreck des lokalen Politfilzes.

Seit nunmehr zwanzig Jahren kämpft Thrier gegen die systematische steuerliche Bevorteilung des Hauseigentums. Nicht freiwillig, sondern gezwungenermassen. Denn als Geschäftsleiter des MV Baselland ist es seine Aufgabe, drohende Nachteile für die Mietenden im Kanton zu verhindern. Keine leichte Sache. Baselland ist wohl der Kanton in der Schweiz, der Wohneigentümern am meisten Vorteile zuschanzt – der Hüsli-Kanton par excellence. Aber warum ist das so? Thrier sagt’s im grossen M+W-Interview.

M+W: Herr Thrier, im Jahr 2005 gewannen sie den ersten Streit mit dem Kanton vor Bundesgericht. Worum ging es damals?
Urs Thrier: Zur Debatte stand das kantonale Steuergesetz. Damals galt ein Eigenmietwert von rund 35% des Marktwerts. Zur angeblichen Kompensation konnten Mieter einen Mietkostenabzug von 1000 Franken vornehmen. Dieser wurde als Gegenvorschlag zu unserer Initiative zwar auf 1500 Franken erhöht. Damit aber waren die Eigentümer noch immer auf Kosten der Mietenden privilegiert, weshalb wir Beschwerde beim Bundesgericht einreichten. Und wir bekamen Recht.

Worum drehte sich die jüngste Auseinandersetzung?
Unsere Kantonsregierung wollte mit einer Durchschnittsregelung erneut Eigenmietwerte unter der minimalen Grenze von 60% zulassen. Dabei hat das Bundesgericht klar gesagt, dass tiefere Werte verfassungswidrig sind. Die Regierung und auch das Parlament wussten dies genau. Trotzdem wollten sie mit dem Kopf durch die Wand.

Hatten Sie sie denn nicht gewarnt?
Doch natürlich, und zwar mehrmals, sowohl in der Vernehmlassung zum neuen Steuergesetz als auch im Parlament selber. Der MV hat auch stets zum Ausdruck gebracht, dass er eine verfassungswidrige Lösung anfechten werde. 

«Das Baselbiet ist das zweite Wallis der Schweiz.»

Also wurden Sie einfach ignoriert?
Völlig! Wir haben nie ein Telefon, eine Rückfrage aus der Verwaltung oder gar eine Einladung zu einem Gespräch mit der Regierung erhalten. Man hat uns schlicht übergangen. So hatten wir keine andere Wahl, als erneut nach Lausanne zu gelangen.

Weshalb wurde die Kritik des MV nicht ernst genommen?
So ist halt das Baselbiet!

Etwas genauer, bitte! Es muss ja Gründe dafür geben.
Eine Zeitung schrieb einmal treffend: Wenn wir das Wallis nicht hätten, wäre das Baselbiet das Wallis der Schweiz. Erstens geht es um Geld und um handfeste Interessen. Ich sagte einmal polemisch, die Regierung sei eine Arbeitsgruppe des Hauseigentümerverbands. Es gibt da ganz starke Verbindungen zwischen der Regierung und den Wirtschaftsverbänden und auch eine Abschottung gegenüber anderen Kreisen.

«Im Baselbiet ist der HEV eine politische Macht.»

Können Sie ein Beispiel nennen?
Wüest + Partner erstellten beispielsweise einen Bericht zur Berechnung der Eigenmietwerte. Wir forderten mehrfach die Herausgabe der dem Bericht zugrunde liegenden statistischen Parameter. Doch wir erhielten nicht einmal eine Antwort. Erst im Gerichtsverfahren zeigte es sich, wie liederlich der Regierungsrat gearbeitet hat, fand er es doch zu keinem Zeitpunkt für nötig, diese beim Auftragsnehmer einzufordern.

Im Baselbiet ist der HEV eine politische Macht. Eine zwar grosse, aber mittlerweile auch eine angeschlagene. Die Macht der Wirtschaftskammer, zu der der HEV gehört, bröckelt in letzter Zeit sichtbar ab.

Das Bundesgericht hat Ihnen im Januar erneut Recht gegeben. Sie waren an der Urteilsberatung in Lausanne dabei. Wie empfanden Sie die Verhandlung?
Es war höchst spannend. Einig waren sich die fünf Bundesrichter, dass die Praxis des Kantons verfassungswidrig ist. Kontrovers war jedoch, ob deswegen das neue Gesetz aufgehoben werden soll oder ob der Regierungsrat auf anderem Weg zur Einhaltung der verfassungsmässigen Grundsätze aufgefordert werden soll. Das Gericht fällte nach zweieinhalb Stunden einen 3:2-Entscheid und hiess unsere Beschwerde gut. Es gab eine richtige Debatte mit wechselnden Mehrheiten. Ich hätte nicht gedacht, dass es eine so intensive Debatte geben würde. Sehr beeindruckend!

Was ist jetzt die Folge des höchsten Schiedsspruchs?
Es gelten jetzt einfach die alten Eigenmietwerte, die sie senken wollten. Rückwirkende Korrekturen gibt es nicht, weil noch keine neuen Eigenmietwerte veranschlagt wurden. Der HEV reagierte auf diese Niederlage heftig und beklagte sich über eine «Gerechtigkeit bis zum Wahnsinn» (lacht). Aber nochmals zurück zur Frage der Machtkonzentration: Wir haben im Baselbiet eine traditionelle Dominanz des HEV, dies im Konglomerat mit den bürgerlichen Parteien. Sie haben seit je die Mehrheit auf ihrer Seite. Von den fünf Regierungsräten hatten vier eine Wahlempfehlung des HEV. Im Moment hat es gar keinen linken Vertreter im Regierungsrat. Die SP ist bei den letzten Wahlen hinausgeflogen, und der grüne Vertreter politisiert ziemlich bürgerlich.

«In unserem Kanton existiert weder eine Vision noch eine Wohnpolitik.»

Was kritisieren Sie am meisten an der Politik?
Baselland hat keine Vision, wie es sich entwickeln soll. Das Kantonsbudget ist aus dem Ruder gelaufen, man muss sparen. Kürzlich wollte man überall Buslinien ausdünnen, sogar dort, wo die Nachfrage gross ist. Man geht einfach ziemlich konzeptlos vor.

Hat der Regierungsrat überhaupt je etwas für die Mietenden getan?
(Überlegt) Eine gute Frage. Mir kommt nichts in den Sinn. Es gibt keine Wohnpolitik. Trotzdem muss die Regierung nun Stellung nahmen, und zwar wegen der hängigen kantonalen Initiative «Wohnen für alle», die aber eher allgemein formuliert ist, sowie einigen vom Parlament wider Erwarten gutgeheissenen Vorstössen. Dann gibt es noch einen Fonds, der einmal fürs Bausparen reserviert war, das ja aber auch abgelehnt wurde. Da soll es eine Vorlage geben, wie die Gelder künftig verwendet werden sollen.

Wie ist jetzt die Kommunikation zwischen dem MV und der Regierung?
Vor einem Jahr hat uns der Regierungsrat doch noch zu einem Gespräch eingeladen. Es ging um die künftige Wohnpolitik. Er hat uns ein Konzept bis Ende Jahr in Aussicht gestellt. Aber darauf warten wir heute noch. Es soll jetzt im nächsten Quartal vorliegen, heisst es. Auch in anderen Angelegenheiten läuft es schräg, zum Beispiel in der Frage der Finanzierung der Universität Basel. Dort studieren ja mehr Leute aus Baselland als aus der Stadt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was muss aus Mietersicht im Baselbiet geschehen?
Der Kanton muss endlich das Wohnproblem wahrnehmen. Er muss dem Wohnen als Grundbedürfnis viel stärker Rechnung tragen und Lösungen gegen die steigenden Mieten suchen. Man könnte etwa eine Offensive für günstige Wohnungen lancieren. Gerade in der Agglomeration Basel wäre dies sinnvoll. Auch raumplanerisch wäre viel mehr Aktivität gefordert. Es ist ein typisches Symptom, wenn bei uns die Leerstandsquote vom regionalen Treuhänderverband erhoben wird. Und wenn die Zahlen bekannt gegeben werden, ist Baselland nicht einmal anwesend.

Ist Ihr Kampf um gerechtere Steuern nach dem Sieg in Lausanne nun beendet?
Nein, sicher nicht. Soeben hat der Landrat eine Erhöhung des pauschalen Unterhaltsabzugs auf 30% des Eigenmietwertes gefordert. Sollte dies durchkommen, so würden wir halt wiederum ans Bundesgericht gelangen. Mit guten Aussichten, hat dieses doch Abzüge von 25% als ausgesprochen hoch und solche von 33% als unhaltbar hoch bezeichnet.