15.12.2016
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Debatte: «Wir müssen die richtigen Worte wählen»

Kostenmiete, Gemeinnützigkeit, illegale Mieten: Nationalrätin Jacqueline Badran plädiert für die Verwendung der richtigen Begriffe in Sachen Miete und Immobilienmarkt.

Worte sind mächtig. Hört man nur oft genug das Wort «Scheininvalide», glaubt man bald, Sozialversicherungsbetrug sei der Normalfall und nicht die grosse Ausnahme. Sprache stellt Zusammenhänge her. Denn unser Hirn funktioniert assoziativ. Mit «Wandel» verbinden wir etwas Positives, eine Veränderung zum Guten. Deshalb ist es ein erheblicher Unterschied, ob wir von «Klimawandel» oder «Klimakatastrophe» sprechen. Geschichten prägen Weltbilder. Bei den Unternehmenssteuer-Reformen dominiert das Narrativ, Unternehmen würden gehen, gäbe man ihnen keine Steuerreduktionen, und die Arbeitsplätze gingen dann verloren. Dass die Allgemeinheit via Steuersenkungen für Konzerne nichts anderes als zusätzliche leistungsfreie Gewinne bezahlt, kommt als Geschichte nicht vor. So fressen sich Irrtümer in die Köpfe der Menschen.

Die Macht der Worte prägt auch die Wahrnehmung in allen Belangen der Mietenden und des gemeinnützigen Wohnbaus. Wollen wir eine erstarkende Mieterbewegung, ist es höchste Zeit, unsere eigenen Worte und Geschichten zu hinterfragen. Denn auch hier dominieren eher Binsen-Falschheiten. Machen wir daraus Binsen-Wahrheiten.

«Der Dritte Weg für alle» statt «Für die mit dem kleinen Portemonnaie»: Wir argumentieren oft, dass immer mehr Leute – Ältere, Familien, Alleinerziehende – Mühe hätten, eine zahlbare Wohnung zu finden. Deshalb sei es notwendig, mehr zahlbaren Wohnraum zu schaffen. Das ist nicht falsch und trotzdem ein grosser Fehler. Gemeinnützigkeit – also der «gemeinsame Nutzen» – ist ein grundlegendes Prinzip. In Bezug aufs Wohnen fordert dieses Prinzip, dass niemand jemandem Gewinne für das Grundgut Wohnen zahlen muss. Es ist das Prinzip der Kostenmiete.

Wieso sollte dieses Prinzip nicht allen zugute kommen? Ist es richtig, dass die Kostenmiete nur denen mit dem kleinen Portemonnaie zusteht? Ist eine Familie aus dem oberen Mittelstand nicht auch im Hamsterrad gefangen, um die Miete von 3'600 Franken pro Monat zusammenzubringen und die Gewinne des Immobilieneigentümers zu bedienen? Gemeinnütziger Wohnbau ist vielmehr der «Dritte Weg» – ein Zwitter zwischen Wohneigentum und Miete. Er ist Wohnen ohne Renditeorientierung, das allen zusteht.

«Die Immo-Branche ist am meisten subventioniert.»

Wirtschaftspolitik statt Sozialpolitik: In dem Sinne ist Wohnpolitik immer knallharte Wirtschaftspolitik und eben nicht nur Sozialpolitik «für die mit dem kleinen Portemonnaie». Wohnen ist für 90% der Leute der grösste Haushaltsposten, woran man sieht, wie eminent wichtig die Wohnkosten volkswirtschaftlich sind und alle betreffen. Steigen die Wohnkosten in der Schweiz nur um 100 Franken pro Monat und Wohnung, fehlen den Menschen jährlich 3600 Millionen Franken.

Natürlich hat Wohnpolitik auch eine grosse sozialpolitische Bedeutung, helfen doch tiefe Mieten auch Menschen mit geringen Einkommen, ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen. Das erspart so manchen den Gang zur Sozialhilfe. Die alleinige sozialpolitische Verortung verhindert übrigens oft Mehrheiten, wollen doch die Gemeinden nicht nur schlechte Steuerzahler, wenn sie gemeinnützig bauen. Selbst linke Kreise befürchten, mit dem Bau gemeinnütziger Wohnungen «Sozialhilfeempfänger» anzulocken.

«Gemeinnützigkeit» statt «sozialer Wohnbau»: Deshalb ist es enorm wichtig, das Wort «sozialer Wohnbau» aus unserem Vokabular zu streichen. Erstens suggeriert das Wort, dass es den Staat etwas kostet, also dass es sich um Subventionen handelt. Zweitens werden viele Leute denken, sie seien nicht gemeint, weil es eben nur für sozial Schwache gedacht ist. Gemeinnützig impliziert hingegen erstens ein Prinzip – nämlich, dass der Nutzen allen zugute kommt. Und zweitens, dass damit alle gemeint sind.

Drittens knüpft der Begriff an eine jahrhundertealte schweizerische Tradition an: den gemeinsamen genossenschaftlichen Besitz des Bodens (früher Genosssamen oder Korporationen genannt) und die genossenschaftliche Herstellung von Produkten. Man denke an die Milch- und Käsekorporationen. Noch heute leben solche Kooperationen weiter, insbesondere in der Alpwirtschaft und in den Innerschweizer Kantonen.

«Die Marktmiete ist schleichend eingeführt worden.»

«Big Business» statt «Förderung»: Oft wird von der «Förderung» des gemeinnützigen Wohnbaus gesprochen. Dieses Wort benutze ich nie. Ich rede lieber von Expansion oder Ausweitung des gemeinnützigen Wohnbaus. «Förderung» tönt nach Subventionen, nach Kosten für den Staat. Das ist blanker Unsinn und sollte schleunigst raus aus den Köpfen. Wenn der Staat – also wir als Gemeinschaft – Land besitzt und kauft, um es dann im Baurecht an einen gemeinnützigen Wohnbauträger (Wohngenossenschaft) abzugeben, dann spült es ihm erstens Geld in die Kasse in Form von Baurechtszinsen, und zweitens bleiben die Wertsteigerungen des Bodens von immerhin rund 6% pro Jahr im Volksvermögen. Ein besseres Bankbüchlein gibt es gar nicht. Wenn der Staat also Kapital in Boden steckt statt zum Beispiel in Aktien, dann macht er immer vorwärts.

Ein Gedankenspiel soll die immense Dimension dieses Gewinns aufzeigen. Unsere Immobilien in der Schweiz haben einen Wert von über 4 Billionen Franken (also 4000 Milliarden). Kapital wird ja bekanntlich verzinst. Man stelle sich nun vor, alle diese Immobilien würden dem Staat gehören, und er würde alles an Gemeinnützige abgeben und dafür einen Zins von nur 3% verlangen (renditeorientierte Eigentümer rechnen mit mindestens 5%). Das gäbe einen jährlichen Ertrag von 120 Mrd. Franken. Man könnte sämtliche sonstige Steuerarten abschaffen. Die Menschen würden weniger fürs Wohnen und erst noch keine Steuern mehr zahlen. Boden zu besitzen und gemeinnützig bewirtschaften zu lassen ist also immer «Big Business» – ein grosses Geschäft für den Staat wie auch für alle Menschen und niemals ein Kostenfaktor. Die einzigen, die bei dem System verlieren und nicht gewinnen, sind die privaten und institutionellen Immobilieneigentümer. Nur – wen schert das?

Subventionierte Immobilieneigentümer statt subventionierte Genossenschaften: Bleiben Boden und Liegenschaften in der öffentlichen Hand, kommt hinzu, dass sämtliche steuerfinanzierten Mehrwerte im Volksvermögen bleiben. Bei jeder Investition der öffentlichen Hand in Verkehrsinfrastruktur, Schulhäuser, Parks usw. steigt unmittelbar der Wert der Immobilie. Erstellt die SBB eine S-Bahnlinie ins Rafzerfeld, so verdreifachen sich dort die Bodenpreise. Baut eine Gemeinde ein Schulhaus neben eine neue Siedlung, steigt der Vermietungswert um mindestens 50%. Diese sogenannten Infrastrukturgewinne macht die Immobilienbranche zur meistsubventionierten Branche überhaupt. Dagegen sind die Bauern Pipifax. Ist der Boden jedoch im Eigentum der Gemeinden, bleiben die steuerfinanzierten Aufwertungen im Volksvermögen. So kommt allen zugute, was alle finanziert haben. Genossenschaften sind hingegen eben nicht subventioniert (ausser sie haben einen Anteil echt subventionierter Wohnungen), sondern sie sind, wie gezeigt, «Big Business» für die Gemeinden und eben kein Kostenfaktor.

«Wir haben bei den Mieten einen illegalen Zustand.»

Kostenmiete Plus statt freier Markt, nichtrediteorientierter Markt versus renditeorientierter Markt: Ganz übel wird es, wenn dauernd vom «freien Markt» im Immobiliensektor gesprochen wird. Das Wort will uns weismachen, dass es einerseits einen «freien» Markt gibt und andererseits einen regulierten, unfreien Markt (gemeint sind Genossenschafts- und kommunale Wohnungen). Das ist brandgefährlich. Denn es suggeriert, dass auf dem freien Markt die Mieten über Angebot und Nachfrage zustandekämen. Das Mietrecht schliesst das jedoch explizit aus. Wir haben theoretisch keine Marktmiete. Gesetzlich erlaubt ist nur ein angemessener, beschränkter Gewinn. Das Bundesgericht definiert einen angemessenen Gewinn als 0,5% über dem Referenzzinssatz. Wir haben also gesetzlich gesehen eine Kostenmiete Plus. Faktisch jedoch ist eine Marktmiete schleichend eingeführt worden und dies ohne Änderung eines einzigen Gesetzesartikels. Das ist ein Skandal, den wir nicht mit falscher Begrifflichkeit zudecken dürfen, sondern den wir im Gegenteil deutlich machen müssen.

Benennen also müssen wir, dass wir da draussen einen illegalen Zustand haben. Die Mieten sind seit der Tiefzinsphase um mindestens 25% gestiegen. Sie hätten um mindestens 14% sinken sollen wegen den gesunkenen Hypothekarzinsen. Konsequenterweise müssen wir immer von einem renditeorientierten Markt reden und einem nichtrediteorientierten Markt, der freiwillig nach dem Prinzip der Kostenmiete Wohnungen anbietet. In der Wirtschaft reden wir ja auch von NPOs (Non-Profit-Organisationen). Damit beschreiben wir präziser die Wirklichkeiten. Und wer will nicht eine Wohnung aus dem nichtrenditeorientierten Markt haben?

«Überprüfung übersetzter Mieten» statt «mehr Transparenz»: Dieser de facto illegale Zustand mit gesetzeswidrigen Mieten hätte mit der vom Mieterverband geforderten schweizweiten Einführung einer «Formularpflicht» gemildert werden sollen. Der Mieterverband fordere mehr Transparenz, titelten die Medien. Was genau soll das denn heissen? Dieses Wording ist viel zu abstrakt, und nur Insider können es übersetzen in das, was es wirklich heisst: Die Formularpflicht ermöglicht die Überprüfung einer übersetzten Miete. So sollte es auch formuliert werden.

Es sind diese Begriffe, die wir verinnerlichen sollten. Es sind diese Geschichten, die wir erzählen sollten. Konsequent, überall und immer wieder. Jaqueline Badran