09.09.2020
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Mieteraktion

Im Familienparadies nistet sich das Profit-Virus ein

Zürich will verdichten, massvoll und umsichtig. Ein Bauvorhaben im gut durchmischten, lebendigen Allenmoos-Quartier zeigt aber exemplarisch, dass es mehr als gute Vorsätze braucht, um nicht nur die Umwelt, sondern auch die Menschen zu schonen.

Text: Esther Banz

Gerade erst erfuhr die Beckhammer-Siedlung im Zürcher Allenmoos-Quartier einen kurzen Moment des Glamours und der medialen Beachtung. Grund dafür  waren Dreharbeiten für einen biografischen Film über den Schriftsteller Martin Suter, der seine ersten Lebensjahre in dieser zentral und doch versteckt gelegenen Wohnsiedlung zwischen Milchbuck und Oerlikon verbrachte. Sieben Reihen mit je drei aneinander gebauten 6-Familien-Häusern stehen hier  umgeben von Rasenflächen parallel nebeneinander, quer dazu vier weitere Doppel-Mehrfamilienhäuser.

Familienquartier in gefragtem Gebiet
«Der Beckhammer», wie die Leute ihr Zuhause nennen, wurde 1947 gebaut. Brigit Hogg, die in der gut durchmischten Siedlung aufgewachsen ist und viele Jahre später ins Quartier zurückkehrte, sagt: «Es war immer schon eine  angenehme, familiäre Stimmung in dieser Siedlung. Sie grenzt an einen verkehrsfreien Weg, einen Sportplatz und einen grossen Spielplatz. Das Quartier lebt.» Seit 1948 hat das Allenmoos-Quartier sein eigenes Schulhaus,  geplant und errichtet worden sei es nicht zuletzt wegen der vielen Kinder im  Beckhammer, weiss Hogg. Die ruhige, inzwischen über 70-jährige grüne  Siedlung könnte vom Aussehen her einer Genossenschaft gehören. Aber es  sind private Eigentümer*innen, die eines oder mehrere der rund 30  Mehrfamilien-Wohnhäuser besitzen – so ist es fast im ganzen Quartier: Nur  eine einzige Baugenossenschaft ist im Allenmoos vertreten. Das stellt jetzt, wo  im grossen Stil baulich verdichtet werden darf in der Stadt, eine grosse  Gefahr dar für das Familienparadies: Die privaten Besitzer*innen können abreissen und gewinnbringend neu bauen – oder ihre Häuser zu guten  Preisen verkaufen. Abreissen und neu bauen lohnt sich jetzt so richtig. Kommt  dazu, dass sich das Quartier in einem zunehmend gefragten Gebiet befindet, wie der Stadtentwicklungsexperte Philipp Klaus sagt: «Das Allenmoos ist von  einer Lage her zum Wohnen und damit für Bauinvestitionen interessant, weil  die Arbeitsplatzzentren Oerlikon und Zürich-West mit ÖV gut zu erreichen sind  und der Autobahnanschluss direkt vor der Tür liegt.»

58 Kleinwohnungen geplant
Den Beckhammer 21, 23 und 25 trifft es als Erstes. Die Baugespanne stehen  schon seit Juni. Den Bewohner*innen der achtzehn 3- und 4,5-Zimmer-Wohnungen hat die Verwaltung – Zanella Partner Immobilien AG* – auf Ende  des kommenden März gekündigt, im Auftrag der Besitzerin Violanta, einer Immobilien-AG. Im Baugesuch wird ersichtlich, was geplant ist: 58 Kleinwohnungen, nicht eine einzige Familienwohnung soll es geben. Die Kinder müssen die kinderfreundliche Siedlung verlassen. Und überhaupt alle, denn die neuen Renditewohnungen werden nicht für die Menschen geplant,  die jetzt und teils schon sehr lange im gut durchmischten Quartier leben. Von der Kündigung sind auch alte Menschen betroffen, die seit fünfzig Jahren da leben.

Millionengewinne dank Verdichtung
An einem heissen Augustabend versammeln sich im Beckhammer Betroffene unter einer mächtigen Blutbuche. Der Mieter Patrick Ryf und die Mieterin Karin Landolt erzählen kurz den Stand der Dinge: Fast alle haben die Kündigung angefochten, sie hoffen, dass sie als missbräuchlich deklariert wird. Oder dass sie und die anderen Mieter*innen wenigstens eine lange Erstreckung der  Kündigungsfrist erhalten. Das Baugesuch für den Neubau ist noch in Prüfung  beim Hochbaudepartement der Stadt. Gekündigt hat ihnen die Verwaltung auf  Vorrat, was nicht per se illegal ist. Und die Leute hinter dem Projekt haben  gute Chancen, dass ihr Renditeprojekt bewilligt wird, unser kapitalfreundliches  Miet-, Bau- und Bodenrecht machts möglich. Dank der Verdichtungspolitik der  Stadt werden die Aktionär*innen im Allenmoos-Quartier mit ihrem Neubau  über die Jahre gerechnet wohl Millionen verdienen können, denn sie dürfen  ein zusätzliches Stockwerk in die Höhe bauen. Und sie haben keine Skrupel,  wenige Altbau- Familienwohnungen durch viele Kleinwohnungen für  Einzelpersonen zu ersetzen, mitten im Familienparadies. Philipp Klaus nimmt  an, dass in nächster Zukunft vermehrt so gebaut werden wird: «Mit solchen  Kleinwohnungen und zunehmend auch mit Mikrowohnungen mit sehr wenig  Fläche, aber hohem Standard, lässt sich gut Profit machen.»

Betroffene lancieren Petition
Was im Beckhammer geplant wird, könnte der Anfang vom Ende dieses  familienfreundlichen, sozial stark vernetzten Allenmoos-Quartiers sein. Das  befürchten im Quartier viele, weiss Brigit Hogg: «Wenn dieses Bauvorhaben  bewilligt wird, ist das wie ein Präjudiz. Wir fragen uns: Wer ist als Nächstes  dran?» Die pensionierte Ärztin schuf für sich und alle im Quartier ein Ventil für ihre Empörung – und eine Möglichkeit, sich zu wehren: Sie lancierte  zusammen mit Betroffenen und Anwohnerinnen und Anwohnern eine Petition gegen den Abriss der Häuser. Ende Juni begannen sie, im Quartier und der  Umgebung Unterschriften zu sammeln, mit mehreren Standaktionen und von  Tür zu Tür gehend. Nach nur zweieinhalb Wochen hatten 981 Personen die  Petition unterzeichnet, auch Martin Suter. «Jetzt wissen alle im Beckhammer  und darüber hinaus, was hier passiert», sagt Hogg kämpferisch. Sie  adressierte die Petition an Stadtrat André Odermatt, Vorsteher des  Hochbaudepartements. Es sei ihr bewusst, dass die Mietrechte begrenzt sind,  schrieb sie im Begleitschreiben, und äusserte ihre Hoffnung, dass die Stadt  dennoch eine Möglichkeit finde, die Häuser zu erhalten. Etwa, indem sie mit  einer städtischen Stiftung oder einem anderen gemeinnützigen Bauträger dem Besitzer die drei Häuser abkauft. Mit diesem Ziel lancieren Betroffene mit der  Unterstützung von weiteren Leuten im Quartier nun eine weitere Petition  zuhanden von Daniel Leupi, Vorsteher des Finanzdepartements und zuständig für die Liegenschaften der Stadt. Patrick Ryf, der mit seiner Familie  die Wohnungskündigung erhalten hat, sagt dazu: «Die Stadt hat von den  Stimmberechtigten den Auftrag erhalten, den Anteil der gemeinnützigen  Mietwohnungen auf einen Drittel am Gesamtbestand zu erhöhen – hier bietet  sich ihr vielleicht die Möglichkeit, dem Ziel einen kleinen Schritt näher zu  kommen.»

Familie Ryf vor einem der Baugespanne, die schon seit Juni auf beiden Seiten des Häuserblocks stehen.
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Familie Ryf vor einem der Baugespanne, die schon seit Juni auf beiden Seiten des Häuserblocks stehen.

Was heisst «massvolle Verdichtung»?
Etwas Hoffnung hat man im Quartier auch auf eine Ablehnung des Baugesuchs. Aber ein Baugesuch wird nicht auf sozialräumliche Kriterien hin  berprüft, wie Fabian Korn vom Hochbaudepartement der Stadt Zürich erklärt:  «Es muss in erster Linie bauliche Vorschriften erfüllen, zu denen auch die Ausnutzungsziffer am jeweiligen Standort gehört. Diese sagt, wie gross die  Bruttogeschossfläche im Verhältnis zur Grundstückfläche bei einer maximal  vorgegebenen Anzahl von Geschossen sein darf.» Geregelt werden diese und weitere für die Verdichtung relevanten Parameter über die Bau- und  Zonenordnung (BZO). 2016 hat die Stadt Zürich die BZO zuletzt grossflächig  überarbeitet. Man führte dabei unter anderem eine neue Bauzone namens  W4b ein, mit der man in «verdichtungssensibleren Gebieten» eine «massvolle  Verdichtung» ermöglichen wollte, die sich «stärker an den bestehenden Bebauungs- und Freiraumstrukturen und an den typischen Quartiermerkmalen orientiert.» Der Beckhammer befindet sich in einer solchen Zone. Die Betonung der typischen Quartiermerkmale macht Hoffnung. Aber am Schluss könnte auch die grosse Enttäuschung stehen, weil die Bauzonenordnung eben tatsächlich nur Bauliches und nicht Sozialräumliches regelt. So heisst  «typische Quartiermerkmale» für diesen Ort beispielsweise: Es braucht auch weiterhin grosse Grünflächen zwischen den Häusern. Und nicht: Die da  geplanten Wohnbauprojekte müssen zur guten Durchmischung des Quartiers beitragen und bezahlbar sein. Die gut gemeinten Verdichtungs- Weichmacher  werden also kaum verhindern, dass sich im Familienparadies ein erstes Profit- Virus einnistet. Oder wie Niggi Scherr, langjähriger MV-Zürich- Geschäftsleiter  und Gemeinderat (AL), der weiterhin engagiert für die Interessen der  Mieter*innen kämpft, sagt: «Leere Worte: Was mit der Zonierung angestrebt wurde, wird vorliegend offensichtlich verfehlt. Der Stadtrat hat zwar das Problem erkannt, aber keine wirkungsvolle Therapie entwickelt.»

Woher kommt das Geld?
Das Bauprojekt wirft nicht nur hinsichtlich seiner Wirkung auf das gesamte Allenmoos-Quartier grosse Fragen auf, sondern auch, was seine Finanzierung  betrifft. Andreas Steiner, der das Baugesuch im Namen seiner  Immobilien-AG Virtus eingereicht hat, wirkt wie ein Phantom. Ruft man auf die  Telefonnummer der Firma an, zeigt sich: Diese ist ungültig. An der  Geschäftsadresse in Küsnacht ZH gibt es keine Klingel für die Firma. Ihr Name  steht zwar auf einem Briefkasten, aber der dient auch als  Postempfänger für die weiteren vier AGs, die allesamt auf Andreas Steiner aus  Alpthal an dieser Adresse im Zürcher Handelsregister eingetragen sind  (und bei denen er alleiniger Zeichnungsberechtigter ist). Merkwürdig ist, dass  Steiner das Baugesuch nicht im Namen seiner Violanta AG eingereicht hat,  denn sie ist laut Grundbuch die Besitzerin der drei bestehenden Häuser. Im  Baugesuch für den Neubau ist auch – als einzige Kontaktmöglichkeit,  abgesehen vom Briefkasten in Küsnacht – eine Violanta-Mailadresse  angegeben. Eine Anfrage dort bleibt selbstverständlich unbeantwortet. Auch  weitere Versuche, Andreas Steiner zu erreichen, scheitern – etwa via den  Architekten des geplanten Neubaus, Yves Guggenheim, oder über die  bisherige und die aktuelle Verwaltung der Wohnhäuser. Das passt zu den  Erfahrungen, die auch die Mieter*innen im Beckhammer 21, 23 und 25  gemacht haben: Sie haben schlicht keine Ahnung, wer das Geld für die Miete  einsackt, das sie Monat für Monat bezahlen. Wenigstens in Küsnacht müsste  man Andreas Steiner doch sehen, im Haus, an dem der Briefkasten befestigt  ist. Fehlanzeige. Zwei hier lebende Mieter sagen übereinstimmend: «Herrn  Steiner habe ich noch nie gesehen.» Und das Büro im Keller wirke stets  unbenutzt, ein geliefertes Paket habe lange an die Türe gelehnt darauf gewartet, abgeholt zu werden.

*Update vom 5.1.2022: Die Zanella Partner Immobilien AG legt Wert darauf, dass sie das Verwaltungsmandat für die betroffenen Liegenschaften am Beckhammer 21/23/25 in Zürich per Ende 2021 gekündigt hat

Stadtplanung braucht Zähne

Kommentar von Walter Angst, Leiter Kommunikation MV Zürich

Am 30. November 2016 hat der Stadtzürcher Gemeinderat die neue Bau- und  Zonenordnung (BZO 2016) verabschiedet. Es gab zwar Gegenstimmen. Von  einem Referendum sprach aber niemand. Dabei war damals schon klar, dass  mit dieser BZO Quartiere wie das Allenmoos Investoren zum Frass  vorgeworfen werden.

Die Beckhammer-Parzelle, auf der die Violanta AG ihren Neubau plant, hatte  schon vor der mit der BZO 2016 vollzogenen Umzonung von der dreistöckigen  Wohnzone in die neue Wohnzone 4b eine Ausnützungsreserve  von rund 25 Prozent. Mit der BZO wurde diese Reserve auf 50 Prozent erhöht.  Die zulässige Geschossfläche ist damit 50 Prozent höher – und die  Zahl der Wohnungen kann von 18 Familien- auf 58 Kleinwohnungen erhöht  werden.

Wilhelm Natrup, oberster Raumplaner des Kantons Zürich, nennt  solche Gebiete «Wild-und-West-Zonen» (NZZ, 30. Juni 2020). Weil die  Zonierung «einigen Spielraum» zulasse, komme es in diesen Wohnquartieren  zu einer «ungeordneten Nachverdichtung», die in der Bevölkerung oft Missmut  erzeuge.

Wer nicht bereit ist, Grundeigentümer zu verpflichten, «mit  dem Bauen einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten» (Natrup), plant ohne  Plan. An diesem fehlenden Biss scheitert die Zürcher Stadtplanung.

Das muss  sich ändern. In den Genuss zusätzlicher Nutzungsrechte sollen  Eigentümer nur kommen, wenn sie bezahlbaren Wohnraum schaffen. Für  Gebiete wie das Allenmoos ist den Eigentümern zudem die Pflicht  aufzuerlegen, einen Gestaltungsplan öffentlich aufzulegen.

Mit dem  kommunalen Richtplan plant die Stadt Zürich zurzeit den nächsten  Verdichtungsschritt. Was wir mit der BZO 2016 verpasst haben, muss der  Richtplan zwingend einlösen. Sonst braucht es ihn nicht.