05.05.2020
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Miettipp

Wenn der Blaue Brief droht

Bevor Vermieterinnen und Vermieter eine Wohnung wegen Zahlungsrückstand kündigen können, müssen sie zahlreiche Formalitäten und Fristen einhalten. Eine der Fristen hat der Bundesrat aktuell verlängert.

Housi Stutz rauft sich die Haare. Wie Tausende andere Kulturschaffende, die schon in guten Zeiten und trotz harter Arbeit wenig verdienen, hat der Corona- «Lockdown» auch ihn hart getroffen. Zahlreiche Auftritte seiner Blasmusikkapelle «Los Tornados» wurden abgesagt. Geblieben ist ein klaffendes Loch in seinen Finanzen. Die Rechnungen flattern aber weiterhin ins Haus. Besonders der fällige Mietzins für den Mai bereitet Housi Stutz Bauchschmerzen. In einem Brief schildert er deshalb der Vermieterin Tina Dreher seine missliche Lage und bittet sie um einen Zahlungsaufschub. Doch Tina Dreher zeigt wenig Verständnis. Wenn er seine Miete nicht bezahle, werde sie ihm die Wohnung kündigen. «Geld muss man haben», lässt sie unbarmherzig verlauten.

Dieser Satz klingt zwar überheblich, ja zynisch. Doch stammt er nicht etwa aus der Feder eines blasierten Schnösels, sondern er stellt einen zentralen Grundsatz des schweizerischen Zivilrechts dar. Das macht die Situation für Housi Stutz nicht besser: Trifft der Mietzins nämlich nicht rechtzeitig bei der Vermieterin ein, kann diese tatsächlich kurzfristig kündigen. Die Gründe für den Zahlungsverzug – etwa ob er selbstverschuldet ist oder nicht – bleiben dabei ausser Acht. Rechtsmittel sind gegen eine korrekte Zahlungsverzugskündigung deshalb chancenlos, die Mieterstreckung gar ausgeschlossen.

Zahlung im Voraus üblich

Doch wann ist eine Mietzinszahlung verspätet? Um diese Frage beantworten zu können, muss man wissen, auf welchen Zeitpunkt der Mietzins geschuldet ist. Der ausschlaggebende Gesetzesartikel (Art. 257c OR) ist eher verwirrend. Dort heisst es nämlich, der Mietzins sei «am Ende jedes Monats» zu bezahlen, sofern nichts anderes vereinbart oder ortsüblich sei. Meistens ist jedoch tatsächlich etwas anderes vereinbart. In den meisten Mietverträgen steht nämlich, der Mietzins müsse am ersten Tag des Monats beim Vermieter oder der Vermieterin eingegangen sein. Der Mietzins ist also im Voraus geschuldet. In den meisten Gegenden der Schweiz gilt die vorgängige Zahlung als ortsüblich.

Was aber ist mit den notorisch Verspäteten, die den Mietzins immer erst auf den 5. des Monats entrichten, obwohl sie gemäss Mietvertrag oder Ortsgebrauch vor Monatsbeginn bezahlt haben müssten?

Hat der Vermieter nie interveniert, kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass er damit einverstanden ist. Der Zahlungstermin wurde in diesem Fall «stillschweigend» auf den 5. des Monats verschoben. Ob im Einzelfall wirklich eine solche stillschweigende Vereinbarung vorliegt, darüber lässt sich streiten. Als Mieterin oder Mieter sollte man sich nicht unbedingt darauf verlassen. Kündigt der Vermieter den Mietvertrag wegen schleppenden Zahlungseingangs, so hat eine Anfechtung der Kündigung mit der Argumentation, man habe den Zahlungstermin stillschweigend verschoben, jedoch gute Erfolgsaussichten.

Längere Fristen wegen Corona

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Kann Tina Dreher ihren Mieter also wegen der verspäteten Zahlung einfach aus der Wohnung werfen? Nein. So zackig geht das nicht. Bleibt der Mietzins aus, muss der Vermieter oder die Vermieterin gemäss Art. 257d OR zunächst eine 30- tägige Zahlungsfrist ansetzen, den ausstehenden Betrag richtig benennen und die ausserordentliche Kündigung androhen.

In Anbetracht der Corona-Krise hat der Bundesrat am 27. März 2020 die Frist bei Zahlungsrückständen für Wohn- und Geschäftsräume von 30 auf 90 Tage verlängert. Diese Frist gilt für Mieten, die zwischen dem 13. März und dem 31. Mai 2020 fällig werden.

Housi Stutz kommt für die Mai-Miete also in den Genuss dieser bundesrätlichen «Gnadenfrist». Erst wenn er innert dieser Frist immer noch nicht bezahlt hat, kann ihm Tina Dreher definitiv kündigen. Es handelt sich dann um eine Kündigung mit einer Frist von 30 Tagen auf Ende eines Monats.

Achtung Öffnungszeiten!

Die 30- bzw. 90-tägige Zahlungsfrist beginnt am Tag nach Empfang der Zahlungsaufforderung zu laufen. Holt Housi Stutz die Zahlungsaufforderung nicht ab, so gilt sie am letzten Tag der 7-tägigen Abholfrist als zugestellt. Die 7-tägige Frist wiederum beginnt an dem Tag zu laufen, an dem Housi Stutz den Brief erstmals auf der Post hätte abholen können. Landet die Abholungseinladung, der sogenannte «Avis», beispielsweise am Freitag in seinem Briefkasten mit dem Hinweis, die Sendung könne ab dem nächsten Tag auf der Post abgeholt werden, und ist die Post am Samstag geöffnet, so gilt der Samstag als Empfangsdatum. Aber Achtung! Es gibt Poststellen, bei welchen eingeschriebene Briefe noch am Zustellungstag des «Avis» abgeholt werden können. Entsprechend beginnt die 7-tägige Abholfrist bereits an diesem Tag zu laufen.

Fristen nicht ausreizen

Die Zahlungsfrist darf Housi Stutz nicht auf die leichte Schulter nehmen – auch wenn sie verlängert wurde. Zahlt er nämlich nur einen Tag zu spät, kann ihn seine Vermieterin gnadenlos aus der Wohnung spedieren. Geldschulden sind gemäss Art. 74 OR sogenannte Bringschulden. Das bedeutet, dass der Mietzins am letzten Tag der Frist auf dem Konto des Vermieters oder der Vermieterin gutgeschrieben sein muss. Die Zahlung erst dann in Auftrag zu geben, ist definitiv zu spät. Auch allfällige Schlampereien seitens der Bank gehen zu Lasten des Mieters oder der Mieterin. Eine Ausnahme gilt allerdings, wenn die Vermieterschaft einen Einzahlungsschein der Post an die Mieterschaft schickt. Dann ist davon auszugehen, dass sie die Post als Zahlstelle bezeichnet hat. Der Mietzins gilt dann als rechtzeitig bezahlt, wenn der Mietzins am letzten Tag der Frist bei der Post einbezahlt ist. Aber auch hier ist Vorsicht geboten. Viele mietrechtliche Fristen sind nämlich nicht im Gesetz geregelt, sondern wurden in der Praxis von den Gerichten festgelegt. Es kann deshalb gut sein, dass das Bundesgericht diese ungeschriebene Regel in einem neuen Entscheid wieder umkrempelt. Man sollte es deshalb – falls möglich – vermeiden, Fristen bis zum letzten Tag auszureizen.

Kündigung anfechten

Zieht Tina Dreher die Zahlungsverzugskündigung tatsächlich durch, ist noch nicht aller Tage Abend. Unterläuft ihr nämlich nur ein einziger Formfehler oder spricht sie die Kündigung zu früh aus, also noch während der 30- bzw. 90- tägigen Zahlungsfrist, ist diese ungültig. Neben den komplizierten Fristen lauern weitere Tücken. Ein Klassiker ist jener Fall, in dem der Vermieter es unterlässt, sowohl die Fristansetzung als auch die Kündigung beiden Ehepartnern mit separater Post zuzustellen. Dazu ist er gemäss Art. 266m OR verpflichtet. Selbst dann, wenn nur einer der Ehegatten den Mietvertrag unterschrieben hat. Wegen dieser möglichen Formfehler vonseiten der Vermieterin sollte Housi Stutz die Kündigung in jedem Fall innert 30 Tagen nach Erhalt bei der Schlichtungsbehörde anfechten und sich vorgängig vom Mieterinnen- und Mieterverband beraten lassen.

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