28.04.2017
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Zürich

Maximaler sozialer Gewinn - Genossenschaft Rüegg

Nicht jeder Hausbesitzer will mit einem Verkauf möglichst viel Geld machen. Die Geschichte der Neugasse 33 in Zürich beweist es.

Text: Esther Banz

Das klingt wie ein Traum: Zwei Brüder verkaufen das vom Vater geerbte Mehrfamilienhaus an diejenigen, die darin wohnen. Dies zu einem Preis, der weit unter dem liegt, was der Markt hergibt. Und sie unterstützen die Kaufwilligen, die in bescheidenen Verhältnissen, erst noch mit einem günstigen Darlehen. Die Brüder heissen Rüegg. Sie möchten nicht genauer umschrieben werden. Aber soviel darf man wissen: Der Wunsch stammt von Vater Herbert Rüegg, wonach das fünfstöckige Haus im Zürcher Kreis 5 aus der Gründerzeit an die Mieter verkauft werden möge. Er hatte das Haus 1920 gekauft. Bei seinem Tod 2006 hinterliess er eine klare Botschaft: Die Neugasse 33 darf nicht in Spekulantenhände fallen! Die Mieterinnen und Mieter packten die Chance, gründeten eine Genossenschaft und tauften sie auf den Namen «Rüegg».

Bad im Keller und Leidenschaft fürs Quartier

Iva Sedlak ist Präsidentin der Genossenschaft Rüegg. Sie wohnt mit ihrem Partner in einer der beiden kleinen Dreizimmer-Wohnungen im ersten Stock. Ein Badezimmer haben sie nicht. Wie üblich zu der Zeit, in der das Haus gebaut wurde, wusch man sich im Gemeinschaftsbad im Keller. Das gibt es heute noch. Die meisten Mieter liessen in der Küche eine Dusche einbauen, Sedlak verzichtet darauf. Notwendige Sanierungen hat die Genossenschaft aber kurz nach der Übernahme beschlossen und bereits umgesetzt.

Iva Sedlak: «Unser Vorstand setzt sich bewusst aus nur drei Mitgliedern zusammen, das vereinfacht die Entscheidungsfindung.» Ein Vorstandsmitglied ist Mischa Gubler, der auch Co-Gründer des Café Noir im Parterre ist. Gubler war selbst einst Bewohner. Er erinnert sich gerne an den einstigen Besitzer Herbert Rüegg: «Ich besuchte den alten Mann hin und wieder in seiner Werkstatt im Keller. Da erzählte er mir jeweils mit viel Leidenschaft von diesem Quartier: wie es früher aussah, dass es anstelle der Häuser gegenüber eine Wiese gab und in einem Nebengebäude Pferde untergebracht waren.» 

Verständige Erben

Gubler und Sedlak interessierten sich schon länger unabhängig voneinander für die Liegenschaft. Der Café-Kleinunternehmer erkundigte sich, ob es zum Verkauf stehe. Als Iva Sedlak eines Tages einem der Erben begegnete, wollte dieser von ihr wissen, ob die Bewohner an einer Übernahme interessiert seien. Daraufhin ging Sedlak von Tür zu Tür und organisierte eine Hausversammlung. Von zehn Parteien waren neun interessiert. Es fand eine Gründungsversammlung statt. Jeder Interessierte musste zuerst 1'000 Franken einbezahlen, um seine Ernsthaftigkeit zu bezeugen. Iva Sedlak liess sich dabei vom Verband der Wohnbaugenossenschaften Schweiz (WBG) über Grundlegendes bei einem genossenschaftlichen Hauskauf beraten. Sie erstand auch Musterstatuten. Sie und Mischa Gabler kümmerten sich um das Geld und sprachen auch mit den Banken. Der Besitzer wollte nun zwar fürs Haus mehr Geld, als die ursprünglich erwähnte Summe. Aber er liess das Objekt vom Hauseigentümerverband fair schätzen und gewährte der Genossenschaft sogar noch ein Darlehen. «Das Ganze dauerte ein Jahr», sagt Sedlak, «auch das Grundbuchamt unterstützte uns, da es an konfliktlosen Kaufverträgen interessiert ist.»

Die Genossenschafter holten Rat bei der Wohnbaugenossenschaft Josephine, die eine ähnliche Geschichte hat. Auch da war es den einstigen Besitzern nicht egal, was mit der Liegenschaft passiert. Fachliche Unterstützung erhielt die Rüegg-Genossenschaft ferner vom Buchhalter und Finanzexperten Balz Christen, der auf Wohnbaugenossenschaften spezialisiert ist. Christen zählt die wichtigen Punkte auf: «Mit der Regelung der Finanzierung fängt es an: Legt man die Mieterbeteiligung über Darlehen oder Anteilscheine oder einer Kombination davon fest? Wer kann wie viel Geld reinstecken? Was braucht es an Darlehen von Dritten und wie schreibt man die entsprechenden Gesuche? Wie kommen wir mit Geldgebern in Kontakt? Wie errechnen wir kostendeckende Mietzinse und wie erstellt man eine Jahresrechnung?» 

Selbstläufer und lachende Mietparteien

Einmal gegründet, seien Wohnbaugenossenschaften eine Art Selbstläufer, sagt Christen, «weil es in finanzieller Hinsicht kaum Gefahren geben kann. Nicht von ungefähr funktionieren viele Genossenschaften gut, trotz teilweise recht wenig professionellem Personal im Vorstand.» In der Genossenschaft Rüegg war und ist Iva Sedlak die treibende Kraft, die sich hartnäckig das nötige Fachwissen aneignete. «Wir müssen viele Dinge gemeinsam entscheiden. Die Vorstellungen gehen teilweise weit auseinander. Den Aufwand, den es bedeutet, ein Haus zu verwalten, hätten sie alle unterschätzt.»

Eine Herausforderung sei auch die Kommunikation: Es brauche einen guten Stil und dass man sich gegenseitig vertraue. «Einige angefragten Banken haben uns dafür ausgelacht, dass wir keinen Vorvertrag hatten», so Sedlak, «Jetzt lachen zehn Mietpartien.» Sie sind nun Mitbesitzende eines schmucken Hauses an bester Lage in Zürich und zahlen noch immer bloss 1000 Franken für eine Dreizimmer-Altbauwohnung mit Balkon und Parkettböden. Als Genossenschaft führen sie fort, was dem ehemaligen Besitzer wichtig war: «Er verlangte immer nur die Kostenmiete. Für ihn bedeutete Eigentum eben auch soziale Verantwortung.» 

Die 8 Schritte zu einer Hausgenossenschaft

1. Klären: Wer von den Mietenden ist interessiert, ein Haus gemeinsam zu übernehmen? 

2. Beim Besitzer Interesse anmelden – am besten bevor er das Wohnhaus zum Verkauf ausschreibt.

3. Den Zustand der Liegenschaft abklären und herausfinden, ob es Mittel für Renovation und Erneuerung braucht. Der Kaufpreis muss diesen Gegebenheiten entsprechen. 

4. Bringen die Mieter genügend Eigenmittel für den Kauf auf? Falls nicht auf Geldsuche gehen (Pensionskassengelder, Darlehen, Fonds de roulement)

5. Sich vom Verband WBG (Wohnbaugenossenschaften) beraten lassen. 

6. Hausgenossenschaft gründen und diese beim WBG anmelden

7 Mietende, die einer Genossenschaft nicht beitreten können oder möchten, bezahlen als Nur-Mietende einen etwas höheren Mietzins. 

8. Fehlendes Fachwissen (besonders was Bauliches und Finanzen betrifft) muss unbedingt extern beschafft werden.

9. Für Sanierungen gibt's spezielles Knowhow beim Beratungsnetz gemeinnütziger Wohnungsbau (Benewo).


Nützliche Links: 
www.wbg-schweiz.ch, benewo.ch, www.mietshaeusersysndikat.ch